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Kanton Zürich, Switzerland
* geboren 1973 * glücklich verheiratet * Diagnose Brustkrebs vom Typ triple negativ im Alter von 38 J. * zum Zeitpunkt der Diagnose in der 33. Schwangerschaftswoche und Mutter eines 3 1/2-jährigen Sohnes und einer 2-jährigen Tochter

Bloggen - wozu?

Bloggen - wozu?

Nachdem ich die Hardcore-Therapie hinter mich gebracht habe, dient mir dieser Blog zum persönlichen Verarbeiten, vor allem auch rückblickend auf die einschneidendsten Erlebnisse. Darüber hinaus hoffe ich, Kontakt zu Leidensgefährtinnen zu knüpfen, die es da draußen in so erschreckend großer Zahl gibt. Und nicht zuletzt sind meine Blogeinträge auch für meine Familie und Freunde verfasst, die mich seit der Diagnose auffangen und mir tatkräftig zur Seite stehen. Der Blog ist leider nicht immer auf dem aktuellen Stand, ich arbeite aber im Rahmen meiner Möglichkeiten daran, das zu erreichen. Die Nummerierung der Titel entspricht der Chronologie der Geschehnisse. Hier könnt ihr lesen, wie sich im Januar 2011 mein Leben auf den Kopf gestellt hat.

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Das Neueste: ... es geht mir gut :-) und das auch dank eines weiteren Hakens auf meiner Bucket-List, mein eigener Hund bzw. Hündin, die mir seit einem halben Jahr so viel gibt und mich positiv fordert, erdet und mir hilft, wieder mehr (innere) Ruhe in mein Leben zu bringen.

34. "Happy" Birthday

Ein mulmiges Gefühl beschleicht mich, … genau ein Jahr ist es nun her und doch fühlt es sich manchmal an, als wäre es gestern gewesen. Der 19. Januar 2011 hat mein Leben auf den Kopf gestellt, mein Vertrauen in mich, mein Leben, mein Glück in den Grundfesten erschüttert. Aber ich hab's geschafft, ein ganzes Lebensjahr voll neuer Erfahrungen und reich an Liebe erfahren dürfen. Jedes weitere Jahr, das mir die Zukunft schenkt, wird ein besonderes Jahr sein. Ich feiere also am 19. Januar 2012 nicht nur den einundvierzigsten Geburtstag meines Mannes, sondern darüber hinaus auch meinen eigenen, meinen "ersten Geburtstag". Dieses Datum wird mich und meinen Mann für alle Zeiten verbinden.
Jahr 1 war definitiv ein hartes Jahr, ich hatte oft Angst, fühlte mich oft einsam, denn auch wenn man von seinen Liebsten aufgefangen wird, so ist man mit dem ungebetenen Gast im Innersten und den Schmerzen doch alleine. Schwäche macht zusätzlich einsam und schwach war ich oft in diesen zwölf Monaten.
Jahr 1 hat mir Erfahrungen beschert, auf die ich hätte verzichten können. Ich weiß nun, wie es sich anfühlt, die Haare zu verlieren, wie es sich anfühlt, unter Schmerzen den Alltag bewältigen zu müssen, wie es sich anfühlt, die eigene Leistungsfähigkeit schwinden zu sehen, ich weiß nun, wie sich das eigene Spiegelbild nach Operation, Chemotherapie, Kortison, Bestrahlung verändert und das Selbstbewusstsein erschüttert. Ich weiß, wie schwer es manchmal fällt, auf Hilfe und Unterstützung angewiesen zu sein.
Jahr 1 war auch das traurigste Jahr meines bisherigen Lebens, ich bin auf schmerzhafte Art endgültig "erwachsen" geworden. Es stimmt tatsächlich, was landläufig gesagt wird: Erst mit dem Verlust der eigenen Mutter geht die Kindheit wirklich zu Ende.
Jahr 1 war dennoch ein Jahr voll Glück. Lina wurde geboren und schenkt mir mit ihrer sonnigen Art viel Freude. Annika und Yannick haben mir mit ihrer Liebe und ihrem Urvertrauen ins Leben viel Kraft gegeben. Die Liebe zu meinem Mann hat die vielen Bewährungsproben dieses Jahres überstanden. Das Jahr hat mir auch viele Menschen geschenkt, die für mich und meine Familie da waren, die uns mit getragen haben und das auch weiterhin tun.
Jahr 1 hat mir des Weiteren gezeigt, wie viel ich ertragen kann, wie viel ich leisten kann, wie stark ich doch auch bin. Das Attribut "kämpferisch" liegt mir auf der Zunge, aber sinnvoller finde ich "offensiv".

Wo stehe ich heute, nach exakt einem Jahr mit der Diagnose Brustkrebs? 
Hmmm… es fällt mir zugegebenermaßen schwer, in diesem Punkt völlig ehrlich zu mir selbst zu sein.
Körperlich geht es mir immer besser, wobei auch Rückschritte zu verzeichnen sind. Ich sehe äußerlich um einiges gesünder aus als noch vor drei Monaten. Dafür tauchen Schmerzen auf, wohl ausgelöst durch die Bestrahlung, die mich immer wieder verunsichern. Auch meine Gelenke und generell mein Immunsystem machen mir Sorgen und lassen immer wieder leider auch negative Gedanken aufkommen. Ich hoffe einfach, dass die Beschwerden "nur" durch die Chemotabletten und Infusionen verursacht werden, mit denen ich nach wie vor therapiert werde.
Ich weiß, dass 2012 ein ganz entscheidendes Jahr für mich sein wird, denn bei triple negativem Brustkrebs tauchen Metastasen gemäß meinem Wissensstand häufig schneller auf als bei anderen Brustkrebstypen und sind dann leider auch in einem kleineren Zeitfenster ultimativer. Ich geb's zu, ich würde gerne, schaffe es aber nicht konsequent, an das Gute zu glauben. Eine gewisse Grundangst ist zu meinem täglichen Begleiter geworden. Zu schaffen macht mir tagtäglich, dass meine Konzentrationsfähigkeit und auch mein Gedächtnis noch immer weit von der alten Form entfernt sind.... hmmm... für eine Perfektionistin im Grunde ein schwer zu akzeptierender Zustand. Ich muss schmunzeln, denn das Jahr hat mich definitiv auch gelehrt, meinen inzwischen nicht mehr so perfekten Perfektionismus mit Humor zu betrachten. 
Positiv stimmt mich - ich muss gerade lachen, während ich das schreibe -, dass ich endlich ein paar Kilos verloren habe und meine Klamotten fast alle wieder passen. Während der Chemo hielt sich mein BMI bedingt durch Kortison und nach der Geburt von Lina doch eher im oberen, noch akzeptablen Bereich. Es ist ein Irrtum zu meinen, man nehme während einer Chemotherapie ab bis auf die Knochen, das gibt es sicher auch, aber ich habe nur Frauen kennen gelernt, die das Kortison trotz fehlendem Geschmackssinn zu Heißhungerattacken getrieben hat.
Meine Kinder sind mir die größte Motivation, nach vorne und nicht zurück zu blicken. Die drei kosten viel Energie, geben aber im Gegenzug auch mindestens das Doppelte an Freude zurück. Ich frage mich manchmal, wie ich das Jahr ohne sie gemeistert hätte…., ziemlich sicher nicht so gut, denn Kinderlachen ist die beste Medizin.


33. Dann mal los ... ab ins 2012

Vier Tage des neuen Jahres sind bereits verstrichen. Den Jahreswechsel habe ich doch glatt verschlafen. Fünf vor zwölf ließen sich meine Augen wohl nicht mehr dazu bewegen, noch etwas offen zu bleiben. Das war so nicht gewollt. Arrrgggll. Ärgerlich. Die Chemo-Tabletten und meine sonstigen Medikamente sorgen nach wie vor jeden Abend dafür, dass mir die Augen unfreiwillig zufallen ... früher oder später. Da Annika bedingt durch ihre Windpocken extrem unruhig ist, sorgt auch sie noch für schlaflose Nächte. Nun, irgendwann holt ihn sich der Körper dann eben, den überfälligen Erholungsschlaf, ... ohne Rücksicht auf etwaige Feste oder Feuerwerke oder gefüllte Sektgläser zum Anstoßen. Ein – bedingt durch Sentimentalitäten an Weihnachten und Silvester – sorgenvoller Blick in die Zukunft  und im Vergleich zu den vergangenen Monaten wieder einmal wesentlich mehr Tränen drücken meinen Energielevel zusätzlich, was sich dann wiederum auf meine Abwehrkräfte auswirkt.
Dauermüde bin nämlich nicht nur ich, sondern offensichtlich auch immer noch mein Immunsystem. Kaum habe ich mal für ein paar kurze Tage Viren, Bakterien und sonstigen gesundheitlichen Gefahren die Stirn geboten, da erwischt mich schon wieder was. Nach der langwierigen Erkältung mit Lungenentzündung war ich nur einige Tage mit Gesundheit gesegnet.
Diesmal bleibt mir die Stimme weg. Seit gestern bringe ich keinen Ton mehr heraus, nur kaum hörbares, kratziges Wispern ermöglicht mir noch ein absolutes Minimum an Konversation. An Telefonieren oder auch nur eine banale Bestellung beim Bäcker ist nicht zu denken. Darüber hinaus manifestiert sich erneut eine Erkältung. All das war früher nie ein Thema für mich, ich war die letzten dreißig Jahre kaum krank. Mein „Untermieter“ hat eindeutig für Unruhe bei meinen Abwehrzellen gesorgt, meine tägliche Dosis Zytostatika tut ihr Übriges. Und gegen die Erschöpfung komme ich irgendwie nicht an... 
Ein Kommentar, den ich heute zu meinem „Alle Jahre wieder“ - Blogpost erhalten habe, trifft es sehr gut. Caro schreibt mir da:

Aber wenn ich Ihnen noch etwas sagen darf: Sie haben wirklich, wirklich ein annus horibilis hinter sich - ein Neugeborenes, kleine Kinder, der Tod Ihrer sehr geliebten Mutter und diese Diagnose: es gibt Menschen, die daran zerbrechen. Sie sind, ein Jahr später, auf einem wunderbaren Weg. Darf ich Ihnen sagen, dass Sie vielleicht versuchen sollten, nicht in die Falle zu tapsen, in der wir Frauen oft sind? Dieses sofort wieder für alle und alles zuständig sein, die Krankheit als vage Bestrafung für eine nicht bestandene Aufgabe zu nehmen, zuviel auf einmal zu wollen etc. Ich glaube, Sie wissen, was ich meine und hoffe sehr, Sie verzeihen meine Belehrungen - wie Sie sich denken können, kenne ich das alles nur zu gut.

Als Belehrung empfinde ich es gar nicht. Danke, Caro, für Ihren Kommentar. Er zeigt mir auf, was ich im Grunde schon weiß, nur ... hmm, „wissen“ und „machen“ sind zwei verschiedene, wenn nicht gar konträre Sachen. Es war tatsächlich das schlimmste Jahr meines bisherigen Lebens und ob ich daran zerbreche, das wird erst die Zukunft wirklich zeigen. Bisher habe ich versucht, immer alles zu geben. Aber gerade deshalb, ... in die Falle getapst, das bin ich längst, besser gesagt, ich bin wohl nie aus der „Falle“ herausgekommen. Drei kleine Kinder mit all ihren Bedürfnissen, ich mit meinen hohen Erwartungen an mich selbst, ein Stück weit auch die hohen Erwartungen meines direkten Umfelds, enorm viele unüberschaubare bürokratische Hürden, die einem die schnelle Rückkehr in unsere Leistungsgesellschaft nahe legen, ein Gesundheitssystem, das Rehabilitation für solche Fälle nicht vorsieht, und letztlich der ganz normale „Alltagswahnsinn“ eines Fünf-Kopf-Haushalts, all das baut einen enormen Druck auf, dem ich mich schlicht nicht entziehen konnte und kann, nicht einmal während der Hardcore-Phasen der Chemotherapie. Wie oft habe ich in den vergangenen Wochen gesagt: „Ich wünschte mir ganz tief drinnen, ich könnte jetzt einfach für ein paar Wochen alles stehen und liegen lassen und ganz alleine irgendwohin gehen, wo ich zur Ruhe komme, wo ich Kraft tanken kann, wo man sich vielleicht auch intensiv um meine Seele kümmert.“ Mhm ... das Leben ist leider kein Zuckerschlecken, es geht nicht, ist hier nicht möglich, es sei denn, man finanziert sich einen Aufenthalt in einem Rehabilitationszentrum selbst. Ach, und nicht zu vergessen die Betreuung der Kinder während dieser Auszeit. Für eine fünfköpfige Mittelstandsfamilie ist das aber schlichtweg nicht machbar. Ich sollte nicht jammern, das möchte ich eigentlich auch gar nicht. Ich bin froh, hier in der Schweiz zu leben, einem Land mit extrem hohen medizinischen Standards.
Was mache ich also? Ich starte einen zweimonatigen Arbeitsversuch. Die Krankentaggeldversicherung ermöglicht mir einen sanften Wiedereinstieg in meinen Job. Ich bleibe nach wie vor krankgeschrieben, kann jedoch nach meinem Empfinden in Absprache mit meinem Arbeitgeber so viel oder auch so wenig arbeiten gehen, wie ich für tragbar halte. Ich bin froh, dass ich ohne Druck den Weg zurück finden kann.
Ohne Stimme und etwas nervös gehe ich heute Morgen zum Bus, der mich zur S-Bahn bringt. Ich will die ersten paar Stunden „Arbeit“ wagen. Es ist ein komisches Gefühl, zurückzukehren. Die letzten Meter des Weges vom Hauptbahnhof zur Schule werde ich langsamer, am liebsten würde ich umdrehen. Es steigt Angst auf, die Angst, dass ich mich nicht mehr zurechtfinde, die Sorge, dass sich meine aktuelle Unkonzentriertheit, meine Müdigkeit, meine Zerstreutheit negativ auf meine Arbeit auswirken. Ich sollte mir keinen Druck machen, ich bin in der luxuriösen Situation, mindestens zwei Monate Zeit zu haben, um zusammen mit meinem Onkologen zu entscheiden, ob ich wieder voll einsatzfähig bin oder nicht.
Das sei noch erwähnt: Mein Wiedereinstieg heute verlief ganz gut, selbst mein Schreibtisch hat sich kaum verändert. Die wenigen Kollegen, die während der Schulferien da sind, haben mir einen warmen, herzlichen Empfang bereitet und auf dem Regal über dem Schreibtisch steht noch immer meine Kaffeetasse, ... als wäre ich nie weg gewesen.


Mein Dream-Team und ich im Dezember 2011