Über mich

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Kanton Zürich, Switzerland
* geboren 1973 * glücklich verheiratet * Diagnose Brustkrebs vom Typ triple negativ im Alter von 38 J. * zum Zeitpunkt der Diagnose in der 33. Schwangerschaftswoche und Mutter eines 3 1/2-jährigen Sohnes und einer 2-jährigen Tochter

Bloggen - wozu?

Bloggen - wozu?

Nachdem ich die Hardcore-Therapie hinter mich gebracht habe, dient mir dieser Blog zum persönlichen Verarbeiten, vor allem auch rückblickend auf die einschneidendsten Erlebnisse. Darüber hinaus hoffe ich, Kontakt zu Leidensgefährtinnen zu knüpfen, die es da draußen in so erschreckend großer Zahl gibt. Und nicht zuletzt sind meine Blogeinträge auch für meine Familie und Freunde verfasst, die mich seit der Diagnose auffangen und mir tatkräftig zur Seite stehen. Der Blog ist leider nicht immer auf dem aktuellen Stand, ich arbeite aber im Rahmen meiner Möglichkeiten daran, das zu erreichen. Die Nummerierung der Titel entspricht der Chronologie der Geschehnisse. Hier könnt ihr lesen, wie sich im Januar 2011 mein Leben auf den Kopf gestellt hat.

Per E-Mail freue ich mich über Reaktionen, konstruktive Fehlermeldungen oder einfach einen lieben Gruß. Bitte hier klicken.

Das Neueste: ... es geht mir gut :-) und das auch dank eines weiteren Hakens auf meiner Bucket-List, mein eigener Hund bzw. Hündin, die mir seit einem halben Jahr so viel gibt und mich positiv fordert, erdet und mir hilft, wieder mehr (innere) Ruhe in mein Leben zu bringen.

40. Zeitreise


Etwa 100 Mädchen waren wir, unser Abiturjahrgang, lange ist es her..., um genau zu sein 20 Jahre. Ja, nur Mädchen. Für mich war es das erste Wiedersehen mit den Mädels von damals. Letztes Wochenende war es soweit, die Hälfte ist erschienen.
Es ist wie eine Zeitreise, eine Reise in diese unbeschwerte, von Freiheit und Träumen geprägte Lebensphase. Jeder Schritt durch das Schulhaus bringt neue Erinnerungen hervor, meist positive, ich bin immer gerne zur Schule gegangen. Die Schulzimmer riechen immer noch genauso, es scheint wohl zu stimmen, dass sich Gerüche besonders intensiv im Gedächtnis festsetzen.
Klar geht es in den Gesprächen um den Status Quo, „Was machst du denn so?“, „Kinder?“, „Wo lebst du?“ und so weiter und so weiter.
Der Abend ist lustig, es wird viel gequatscht, gelacht, gekichert. Ich fühle mich wohl. Und doch kann ich nicht verhehlen, dass ich auch nachdenkliche, traurige Momente habe. 100 Mädels.... hmmm... statistisch gesehen trifft es zehn von uns. Zehn von uns erhalten laut Statistik die Diagnose Brustkrebs.... früher oder später... theoretisch. Und dreißig bekommen Krebs, welcher Art auch immer. Ich sehe mich in der Runde um und mir wird einmal mehr bewusst, wie wenig selbstverständlich das Leben ist. Am liebsten würde ich auf den Tisch klettern und allen zurufen: „Geht regelmäßig zur Vorsorge, tastet euch ab, seid wachsam, je früher ihr dem Krebs die Stirn bietet, desto besser sind eure Chancen, heil aus der Sache herauszukommen.“
Aber ich bleibe sitzen. Ich genieße weiter meine Zeitreise, verderbe niemandem den Abend und hoffe, dass die Gegend vorwiegend gesunde Menschen hervorbringt, was natürlich Quatsch ist, aber wer kennt schon genau die ganzen Umstände, welche die einen vor Krebs bewahren und die anderen in einen Strudel aus Angst, Schmerzen und Sorgen werfen. 

39. Was ist schon sicher...


Der Countdown läuft, ... nur noch neunzehn, jaaaaaaa 19 läppische Tage, an denen ich meine Chemotabletten schlucke. Kein Methotrexat, kein Endoxan, morgens einfach wieder frühstücken ohne die Medi-Box hinter dem Teller – äh, lach ... die Box brauche ich gefüllt für die ganze Woche, da ich anfangs schon mal doppelt gemoppelt habe, weil ich nicht mehr wusste, ob ich nun schon... oder vielleicht doch oder die andere auch schon ... ohhhhh jeeee ... mein Spatzenhirn. Ich bin froh, dass es bald vorbei ist, empfinde es irgendwie als Befreiung. Das Jahr mit metronomischer Chemo ist rückblickend schnell vergangen, überhaupt die Zeit seit der Diagnose, die – ich kann es eigentlich kaum glauben– nun schon 18 Monate zurückliegt.
Es stand eine Weile zur Diskussion, die Einnahme zu verlängern, um meinem Sicherheitsbedürfnis entgegen zu kommen. Ein ausführliches Gespräch mit Onkol Doc gestern hat mich aber bestärkt, dass mal Schluss sein muss. Entweder haben die Tabletten geholfen oder eben nicht, daran ändern auch weitere Monate nichts. Die Gefahr einer Zweiterkrankung durch die Tabletteneinnahme (Leukämie zum Beispiel) erhöhe sich außerdem mit jedem Monat. Und die lästigen Nebenwirkungen will „frau“ auch nicht für alle Ewigkeit in Kauf nehmen, die verschwinden eh erst Monate nach der letzten Einnahme.
Zur Diskussion steht jetzt noch ein CT. Im Grunde wird es heutzutage gar nicht mehr gemacht, erst bei begründetem Verdacht auf Metastasen, aber ... na ja ... wie soll ich sagen, es wäre doch auch gut zu wissen, dass eben nichts ist. Die Seele spielt mir ja immer wieder Streiche, wenn es irgendwo ungewöhnlich schmerzt oder mir zwischendurch schwindelig ist. Seufz. Ganz so einfach ist das aber leider nicht.
Es gibt immerhin drei mögliche Ergebnisse, die so ein CT hervorbringen kann:
  1. keine Auffälligkeiten (wenig der Fall) >>> wäre befreiend für die nächsten Monate wenigstens
  2. kleine, undefinierbare Auffälligkeiten (häufig der Fall), die meist nichts bedeuten, aber dennoch in Einzelfällen was bedeuten können >>> viel Aufregung und Sorgen um vielleicht nichts, endlose Folgeuntersuchungen, Nachkontrollen alle paar Monate
  3.  Metastasen (möglich) >>> ändert nichts an der Prognose, „frau“ gilt dann einfach als unheilbar erkrankt, letzter Countdown sozusagen, Vorteil aber, dass Bianca sich „vorbereiten“ kann

Was also tun? CT ja oder nein? Wenn ich das doch bloß wüsste. Doc meint, ich solle es lassen, es ändere nichts, schaffe nur mehr Aufregung.
Also gehe ich mal in mich, Brainstorming à la Bianca. Wie ginge ich wohl mit jeder der drei Möglichkeiten um? Hmmm... alles reine Spekulation, aber ...
  • Möglichkeit 1: Es ist nichts zu sehen. Ich bin erleichtert, froh, beruhigt, weiß aber wohl, dass das kein Freiticket für die Zukunft ist.
  • Möglichkeit 2: Sie finden etwas, das man beobachten müsste. Mpfff. Nicht so gut. Auch wenn dann wahrscheinlich nichts wäre, es würde mich doch in einen Gefühlsstrudel voll Angst, Wut. Sorge werfen, den ich zwar jetzt auch immer wieder mal habe, aber nicht so begründet. Und, ich müsste wieder vermehrt zu Untersuchungen, auch nicht so prickelnd.
  • Möglichkeit 3: Nun ja, was soll ich dazu sagen. Schreikrampf. Mist. Ich will noch nicht sterben. Aber wenn’s denn so wäre, dass die blöden Dinger in mir werkeln, dann arrangiere ich mich wohl hoffentlich irgendwie und gestalte den verkürzten „Rest“ meines Lebens so, dass er für mich stimmt und dass er auch für meine Liebsten stimmt.

Eigentlich müsste ich jetzt sagen, quod erat demonstrandum, alles ganz logisch, ich darf kein CT machen, aber so einfach mache ich es mir nicht, erstmal in Ruhe darüber nachdenken und mit meinen engsten Vertrauten besprechen und abwägen.

38. Tipps und Ratschläge?


„Das wird schon gut, Brustkrebs ist heutzutage doch kein Problem mehr. Ich kenne da eine Frau, die es geschafft hat.“ Tief einatmen, Lippen zusammenkneifen, kurz die Augen schließen ... wie auffallend oft ich das oder so ähnliche Formulierungen doch zu hören bekomme - so auch vergangenes Wochenende wieder mal. Mpffff.... das sind dann die Momente, in denen ich eigentlich sagen sollte, dass es doch Quatsch ist, so etwas zu behaupten, ohne wirklich Ahnung zu haben. Aber was macht Bianca? Nett lächeln, nicken und vielleicht noch in ruhigem Ton sagen, dass es halt schon komplizierter sei, wenn man plötzlich selbst betroffen sei und Brustkrebs sowieso nicht gleich Brustkrebs sei und auch jede Frau andere Voraussetzungen habe, da gebe es doch relevante Unterschiede, das Alter, die Lebensumstände, den Tumortyp, das Grading und vieles mehr. Aber ja, natürlich würde ich alles tun, um es auch zu „schaffen“ und auf der positiven Seite der Statistik zu stehen.
Hinterher ärgere ich mich dann über meine Political Correctness. Aber so bin ich eben, ich vermeide direkte Konfrontation, tut mir nicht gut, schreibe meine Gedanken lieber auf, teile sie auf diesem Weg mit und verarbeite sie so für mich.
Ich weiß ja, dass es nicht so einfach ist für viele „Nicht-Betroffene“, passende Worte zu finden und im Grunde ist es auch nur gut gemeint. Aber ich fühle mich bei solchen Pauschalaussagen nicht ernst genommen, fast ein wenig als Hypochonder abgestempelt, der sich das Ganze nur einbildet und nicht so ein Tamtam veranstalten sollte, so als hätte ich nur mal eben Schnupfen. Nun ja, irgendwie kann ich es meinen Mitmenschen dann aber doch nicht verübeln, die Medien und auch die ärztlichen Statistiken beschönigen enorm. So habe ich vor Kurzem erst von ärztlicher Seite erklärt bekommen, dass „Überleben“ in den Brustkrebsstatistiken nur bedeutet, dass eine Erkrankte (oder ein Erkrankter) nach 5 Jahren noch am Leben ist. Diejenigen, die der Brustkrebs danach hinwegrafft, fallen aus den Statistiken heraus. Ufff, für wen die wohl geschönt werden? Für die Pharmaindustrie? Warum macht man keine Langzeiterhebung? Metastasen tauchen häufig erst Jahre nach dem Primärtumor auf. Es ist leider nach wie vor so, trotz all der Forschungserfolge, dass Brustkrebs die mit Abstand häufigste Todesursache bei Krebserkrankungen von Frauen ist. Mir als Betroffene und Informierte ist das bewusst, vielen meiner Mitmenschen nicht, darum stellen sich mir ja auch die Nackenhaare auf, wenn ich mal wieder ein aufmunterndes Schulterklopfen bekomme mit Worten wie „Kopf hoch, das wird schon, eine Arbeitskollegin hatte vor ein paar Jahren auch Brustkrebs und sie ist geheilt.“ Da wünschte ich mir mehr Feingefühl. Aber es bringt mich auch irgendwie zum Schmunzeln ... wie gut, dass ich kein zartes Pflänzchen bin und einiges aushalte.

Ein weiteres Ärgernis, wenn auch nur ein winziges, sind für mich Tipps und Ratschläge ... ungefragt..., wie ich nun leben sollte, was ich ändern sollte, was man noch alles tun kann, um den Krebs zu besiegen, was der krebskranke Nachbar immer getrunken habe und wie gut es ihm heute gehe, ich solle mir das Zeug doch gleich besorgen und so weiter. Auf Tipps reagiere ich aber mittlerweile leicht allergisch. Das Problem ist, dass ich mehr als gut informiert bin, ich habe mich mit meiner Erkrankung eingehend auseinander gesetzt, Patientenkompetenz nennt man das heutzutage. Zwangsläufig habe ich auch eigene Erfahrungen gesammelt, habe darüber hinaus viele Frauen während und nach der Chemo und anderen Therapien kennen gelernt. Eine Erkenntnis gewinnt „frau“ da sehr schnell: Keine Diagnose ist gleich, keine Therapie ist gleich, keine Reaktion auf die Therapien ist gleich, keine Prognose ist gleich, kurzum .... wir sind und bleiben Individuen, ... auch wenn uns eins verbindet, ... die Diagnose Brustkrebs.

Ich möchte genau deshalb explizit keine Tipps in Bezug auf den Umgang mit Brustkrebs geben. Das entspricht nicht meinem Naturell. Meine Erfahrungen und was mir gut getan hat oder noch gut tut, all das muss nicht für andere gelten. Ich möchte meine Blogposts nicht als Ratgeber verstanden wissen. Ratschläge zum Thema Brustkrebs geben private, staatliche, institutionelle und kommerzielle Websites, Bücher, Heiler, Gurus, Zeitschriften usw. mehr als genug, manche kompetent und hilfreich, manche verunsichernd, manche in meinen Augen kriminell. Wenn mich jemand explizit um Rat fragt, dann erzähle ich von meinen Erfahrungen, was mir geholfen hat, mache auch gerne Vorschläge, aber ich maße mir nicht an, das Patentrezept gefunden zu haben.

Noch heute schüttle ich den Kopf über ein Buch*, das ich letztes Jahr gelesen habe, den Erfahrungsbericht einer Frau, die auch mit der Diagnose Brustkrebs konfrontiert wurde – wie ich als Mutter von drei kleinen Kindern. Sie hat sogar Preise dafür gewonnen. Ich erhoffte mir irgendwie Kraft aus diesem Buch, erkannte ich doch einige Parallelen. Leider, obwohl die Autorin den Krebs überwunden zu haben scheint (sie erkrankte vor 15 Jahren), kann ich mich mit ihrer Art, zu schreiben, nicht anfreunden, denn sie wirkt belehrend, gibt vor positiv ans Leben zu glauben, obwohl sie auffallend viele negative Erfahrungen beschreibt, mit Ärzten und Pflegenden zum Beispiel, die in dieser Häufung gar an den Haaren herbeigezogen erscheinen. Ihr Weg ist nicht mein Weg, denn sie betont mehrfach, dass jede, die an Brustkrebs stirbt, im Grunde selber schuld ist, weil sie nicht ans Leben geglaubt hat. Sehr, sehr einfach ... zu einfach und eindimensional aus meiner Sicht, die Erklärungen und Tipps der Frau Annette Rexrodt von Fircks. Ihre Lebensumstände sind dann doch auch nicht meine Lebensumstände (scheinbar Kinderfrau, Haushälterin) und ihre Tipps erscheinen mir zu platt, zu offensichtlich (so von wegen gesund ernähren, an der frischen Luft bewegen und so).
Aber dazu sei gesagt, dass das Buch halt eben für mich nicht stimmt, für andere wohl schon, sonst wären ihre Erfahrungsberichte nicht so erfolgreich.
In diesem Sinne gehe ich ihn weiter .... MEINEN WEG .... so wie Tausende von an Krebs Erkrankten da draußen ihren eigenen Weg gehen .... und keine(r) von uns ist schuld, wenn es nicht so ausgeht, wie wir uns das erhoffen und wünschen.


*Annette Rexrodt von Fircks:  ...und flüstere mir vom Leben. Wie ich den Krebs überwand. Ullstein Taschenbuch

37. Sommer, Sonne, Schmerzgrenze


Eine meiner 3-monatlichen Nachkontrollen bei der Senologin ist wieder abgehakt. Sie ergibt, dass sich in Brust und Achseln nichts Auffälliges tut. Merkwürdig ist, dass mich Kontrollen der Brust gar nicht mehr so beunruhigen. Ich gehe hin, als wäre es eine Kontrolle bei Zahnarzt oder Augenarzt. Seltsam, nicht? Meine Erwartungshaltung hat sich in den vergangenen Monaten verändert. Irgendwie weiß ich, dass ein neuer Befund in der Brust nur bedeuten würde, dass alles wieder von vorne anfängt. Eine weitere Chemo wäre zwar wahrlich nicht erstrebenswert, aber machbar, denn es heißt nicht, dass Metastasen in mir werkeln. Und vor denen habe ich die große Angst. Beunruhigt bin ich demnach eher, wenn ich wieder mal irgendwo anders im Körper etwas spüre oder glaube zu spüren und dann auf die Termine beim Onkologen warte.
Bei der Nachkontrolle sind auch die Schmerzen in der operierten Brust und in der Achsel erneut Thema. Frau Dr. H. vermittelt mir Zuversicht, dass auch diese Schmerzen weniger würden, wenn meine metronomische Chemo zu Ende sei. Das Operationsgebiet reagiere nach wie vor auf die Bestrahlung und die Zytostatika würden das noch verstärken.
Sommer und Sonne sind jedoch gute Helfer. Ich fühle mich insgesamt viel fitter als noch vor Wochen. Selbst eine Fahrradtour wäre da undenkbar gewesen. Am Pfingstwochenende habe ich dann 25 km geschafft, nicht wirklich ultimativ viel, aber für mich nach all dem Erlebten doch ein Meilenstein. Meine zurückgewonnene Fitness verleitet mich dann auch dazu, die Schmerzen zu ignorieren oder anders gesagt, meine eigene Schmerzgrenze zu überwinden. Das Okay der Ärzte habe ich und so beiße ich bei vielen Aktivitäten - allen voran in der Physiotherapie und im Pilates-Kurs - auf die Zähne und auch wenn da immer wieder ein Tränchen ins Auge schießt und so darauf hinweist, dass es höllisch weh tut, dann führe ich mir vor Augen, dass ich nur so letztlich dauerhaft schmerzfrei werde ... so wie Oma Schmidt :-)

Oma Schmidt hat Schmerzen im Knie. Sie geht zum Arzt, der verschreibt ihr eine Salbe zum Einreiben und verbietet ihr für drei Monate das Treppensteigen. Nach drei Monaten ist die alte Dame wieder beim Arzt. Die Schmerzen sind weg. "Sie sind wieder gesund", sagt der Arzt. "Heißt das, dass ich wieder Treppen steigen darf?"
 "Natürlich", meint der Doktor.
"Da bin ich aber froh", seufzt Oma Schmidt. "Wissen sie, Herr Doktor, das war ganz schön anstrengend: Immer den Blitzableiter hoch und beim Fenster reinklettern!"  

36. Lachen UND Weinen

Ostern ... in ein paar Tagen ... da sollte ich mich doch freuen auf das Ostereierfärben und das Verstecken und Suchen mit den Kindern ... aber Ostern ist nicht mehr das, was es noch im letzten Jahr war ... die Osternester suchen wir dieses Jahr zum ersten Mal nicht im Garten meiner Eltern, sondern bei uns im Garten. Und vieles wird fehlen, ... allem voran natürlich sie, ... meine Mama, die Oma meiner Kinder, ... auch ihre Osternestli für alle Familienmitglieder. Ich vermisse sie und all das schon in den Tagen vor dem Fest schrecklich. Zu Ostern letztes Jahr habe ich sie das letzte Mal im Arm gehalten. Die ganze Familie kam zusammen, drei Kinder, sechs Enkelkinder, Lebenspartner, wir alle lachten in der Sonne am kleinen Gartenteich meiner Eltern. Ich steckte mitten in der Chemotherapie und sie verdrückte immer wieder eine Träne wegen mir ... aus tiefer Sorge um mich und in der Hoffnung, dass ich es nicht sehen würde. Gerade, wenn solche Familienfeste vor der Tür stehen, und dieses ganz besonders, dann werde ich noch dünnhäutiger, als ich es seit den ganzen Therapien eh schon bin. Das alles hat mich verändert, ich bin auf eine Art stärker, reifer geworden, aber auf eine andere Art schwächer, verletzlicher, auch wenn ich inzwischen dem Leben wieder lachend und fröhlich begegne, so glaube ich wenigstens (äh... andere nicht immer, wie ihr nachher lesen könnt).
Mama sollte jetzt hier sein und sehen, wie fit ich äußerlich wieder aussehe und dass ich alles daran setze, gesund zu werden und auch zu bleiben ... nur nicht klein beigeben. Ich arbeite wieder in dem Umfang wie vor meiner Diagnose. Es ist zugegebenermaßen viel anstrengender als vorher, aber irgendwann werde ich auch da wieder voll auf Kurs sein. Hmmm.... ich habe mich doch mittlerweile gut mit den anhaltend nervigen, aber nicht bedrohlichen Nebenwirkungen der Medikamente und Nachwirkungen der OP und Bestrahlung arrangiert. Und da gibts nur noch einige.
Die dünne, sensorisch gestörte Haut vor allem an den Fingern, daran habe ich mich gewöhnt ... irgendwie. Gegen die Schmerzen im OP-Gewebe und die damit verbundenen Bewegungseinschränkungen unterstützen mich aktuell Physiotherapie und neuerdings Pilates - ächz -, so dass ich vielleicht sogar irgendwann wieder die alte oder gar eine erneuerte Bianca bin.
Dann wäre da ja noch das nach wie vor geschwächte Immunsystem, das in Kombination mit den extrem trockenen Schleimhäuten und der Dauererschöpfung fiesen kleinen Krankheitserregern in den vergangenen Monaten regelmäßig die Tür geöffnet hat. Das versuche ich mit einem Abkommen hinzuhalten, so nach dem Motto, bald ist Sommer und da werde ich einfach nicht mehr dauernd kränkeln und außerdem habe ich in ein paar Monaten mein metronomisches Chemojahr durch und muss keine Tabletten mehr schlucken. Das Immunsystem soll sich schon mal auf andere Zeiten gefasst machen.
„Äh... grübel, grübel und studier, was wollte ich denn nun von dir? Tsss ... weshalb bin ich in den Keller gegangen? Hmmm ... ist ja schön hier unten, nun denn, wer braucht schon einen Grund?“ Zerstreutheit und Gedächtnislücken, lach, oh oh, bringen mein Umfeld, vor allem meinen Mann, hin und wieder an den Rand des Wahnsinns. Ok, ich gebs ja zu, mich auch oft genug. Ahhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhh..........
Und dann zeigen sich noch so ein paar Nebenwirkungen, die man wohl landläufig Wechseljahrsbeschwerden nennt, unbändige Hitzewallungen zum Beispiel, 24 Stunden Tag und Nacht, egal wo. Noch nehme ich die mit Humor und wenn man mich mit einem Teller oder sonst einem zweckentfremdeten Objekt wedeln sieht, dann ist das kein Grund zur Beunruhigung ... pffff... ich bin dann nur mal wieder dabei, einen meiner vielen inneren Vulkanausbrüche zu kühlen ... mit „allen“ greifbaren Mitteln.
Gestern hat mir eine Freundin gesagt, ich gefalle ihr nicht, ich lache nicht mehr so wie früher, was ich natürlich prompt schmunzelnd verneint habe, aber ein bisschen hat sie dann doch Recht. Ich bin zwar in so mancher Hinsicht bewusster, fröhlicher und vor allem dankbarer geworden, aber auch enorm viel nachdenklicher und ernster, einfach nicht mehr so unbekümmert wie früher. Ist das nicht „normal“ auf meinem Weg?
Aber eins ist sicher ... nebst Tränen, denen ich ihre Daseinsberechtigung bewusst einräume, hat auch Lachen ausreichend Platz in meinem Leben.

In diesem Sinne ... FROHE OSTERN  (anklicken) ... Und nicht vergessen, wo ... äh... ob die Schoggi versteckt ist :-)



35. Puuuhhhhh

... in mehrfachem Sinn... puuhhh.
Tieeeeeeef durchatmen.... Die heutige Mammographie und der Ultraschall haben nichts Auffälliges hervorgebracht. Vor jeder Nachkontrolle bin ich hibbelig und aufgeregt, so auch die letzten Tage. Wenigstens lässt sich aktuell ausschließen, dass ich einen Rückfall in der Brust, ein Rezidiv, habe.
Schmerzen in der Brust habe ich dennoch. Die ließen sich mit Nachwirkungen der Bestrahlung, mit meiner vorgezogenen „Menopause“ (schwitz und noch mal schwitz), mit den nach wie vor reaktiven Lymphknoten und mit meinem nicht mehr so ganz funktionierenden Port-a-Cath erklären. Seufz, hoffentlich kommt die Erklärung auch noch in meinem Herzen und vor allem in meinem Kopf an. Leider schmerzt ja auch seit Wochen der gesamte  Brustkorb rundum, ... dafür bekomme ich nun aber Physiotherapie. Und meine schmerzenden Knie werden durch das tägliche Vitamin D, das ich seit einer Woche nehmen muss, hoffentlich auch bald Vergangenheit sein. Knochenszinti und Röntgen haben wir zunächst aufgeschoben, zu viel Diagnostik macht mich nur noch mehr verrückt. Ich bekomme keine Metastasen. PUNKT. Nein. Sicher nicht. Basta.
Wie hat mir Dr. B. doch letzte Woche versichert? Er werde dafür sorgen, dass ich mit ihm in zehn Jahren bei einer Tasse Kaffee lächelnd zurückblicken kann und sagen werde, die Therapie sei goldrichtig gewesen. Na ja, vielleicht wird aus dem Kaffee dann ja noch Champagner zur Feier meines zehnjährigen Überlebens (so nennt man das wohl tatsächlich bei Krebserkrankungen).
Puuhh auch deshalb: Lina ist vergangenes Wochenende ein Jahr alt geworden. Es kommt mir vor wie gestern, die Diagnose, die OP und dann ihre unvergessliche Geburt. Vor einem Jahr habe ich mir größte Sorgen gemacht, ob ich ihren ersten Geburtstag miterleben darf. JA, ich darf. Und ich bin unendlich dankbar dafür. Happy Birthday, mein kleiner Sonnenschein.
Noch mehr puuuhh? Mhm ... die Zeit der Krankschreibung neigt sich dem Ende zu. Ich will nicht mehr "krank" sein, also gehe ich ab 1. März 2012 wieder meine 50% arbeiten, Erschöpfung hin oder her, wie ich es vor meiner Erkrankung auch getan habe. Das Trackpad am Laptop muss ich halt austricksen, wie ich es jetzt schon immer wieder machen muss, wenn es mal wieder nicht auf meine "abgehobelten", dünnhäutigen Fingerspitzen reagieren will ;-) Back to normal ... vordergründig... auch wenn noch lange nichts normal sein wird ... in meinem Herzen. 

34. "Happy" Birthday

Ein mulmiges Gefühl beschleicht mich, … genau ein Jahr ist es nun her und doch fühlt es sich manchmal an, als wäre es gestern gewesen. Der 19. Januar 2011 hat mein Leben auf den Kopf gestellt, mein Vertrauen in mich, mein Leben, mein Glück in den Grundfesten erschüttert. Aber ich hab's geschafft, ein ganzes Lebensjahr voll neuer Erfahrungen und reich an Liebe erfahren dürfen. Jedes weitere Jahr, das mir die Zukunft schenkt, wird ein besonderes Jahr sein. Ich feiere also am 19. Januar 2012 nicht nur den einundvierzigsten Geburtstag meines Mannes, sondern darüber hinaus auch meinen eigenen, meinen "ersten Geburtstag". Dieses Datum wird mich und meinen Mann für alle Zeiten verbinden.
Jahr 1 war definitiv ein hartes Jahr, ich hatte oft Angst, fühlte mich oft einsam, denn auch wenn man von seinen Liebsten aufgefangen wird, so ist man mit dem ungebetenen Gast im Innersten und den Schmerzen doch alleine. Schwäche macht zusätzlich einsam und schwach war ich oft in diesen zwölf Monaten.
Jahr 1 hat mir Erfahrungen beschert, auf die ich hätte verzichten können. Ich weiß nun, wie es sich anfühlt, die Haare zu verlieren, wie es sich anfühlt, unter Schmerzen den Alltag bewältigen zu müssen, wie es sich anfühlt, die eigene Leistungsfähigkeit schwinden zu sehen, ich weiß nun, wie sich das eigene Spiegelbild nach Operation, Chemotherapie, Kortison, Bestrahlung verändert und das Selbstbewusstsein erschüttert. Ich weiß, wie schwer es manchmal fällt, auf Hilfe und Unterstützung angewiesen zu sein.
Jahr 1 war auch das traurigste Jahr meines bisherigen Lebens, ich bin auf schmerzhafte Art endgültig "erwachsen" geworden. Es stimmt tatsächlich, was landläufig gesagt wird: Erst mit dem Verlust der eigenen Mutter geht die Kindheit wirklich zu Ende.
Jahr 1 war dennoch ein Jahr voll Glück. Lina wurde geboren und schenkt mir mit ihrer sonnigen Art viel Freude. Annika und Yannick haben mir mit ihrer Liebe und ihrem Urvertrauen ins Leben viel Kraft gegeben. Die Liebe zu meinem Mann hat die vielen Bewährungsproben dieses Jahres überstanden. Das Jahr hat mir auch viele Menschen geschenkt, die für mich und meine Familie da waren, die uns mit getragen haben und das auch weiterhin tun.
Jahr 1 hat mir des Weiteren gezeigt, wie viel ich ertragen kann, wie viel ich leisten kann, wie stark ich doch auch bin. Das Attribut "kämpferisch" liegt mir auf der Zunge, aber sinnvoller finde ich "offensiv".

Wo stehe ich heute, nach exakt einem Jahr mit der Diagnose Brustkrebs? 
Hmmm… es fällt mir zugegebenermaßen schwer, in diesem Punkt völlig ehrlich zu mir selbst zu sein.
Körperlich geht es mir immer besser, wobei auch Rückschritte zu verzeichnen sind. Ich sehe äußerlich um einiges gesünder aus als noch vor drei Monaten. Dafür tauchen Schmerzen auf, wohl ausgelöst durch die Bestrahlung, die mich immer wieder verunsichern. Auch meine Gelenke und generell mein Immunsystem machen mir Sorgen und lassen immer wieder leider auch negative Gedanken aufkommen. Ich hoffe einfach, dass die Beschwerden "nur" durch die Chemotabletten und Infusionen verursacht werden, mit denen ich nach wie vor therapiert werde.
Ich weiß, dass 2012 ein ganz entscheidendes Jahr für mich sein wird, denn bei triple negativem Brustkrebs tauchen Metastasen gemäß meinem Wissensstand häufig schneller auf als bei anderen Brustkrebstypen und sind dann leider auch in einem kleineren Zeitfenster ultimativer. Ich geb's zu, ich würde gerne, schaffe es aber nicht konsequent, an das Gute zu glauben. Eine gewisse Grundangst ist zu meinem täglichen Begleiter geworden. Zu schaffen macht mir tagtäglich, dass meine Konzentrationsfähigkeit und auch mein Gedächtnis noch immer weit von der alten Form entfernt sind.... hmmm... für eine Perfektionistin im Grunde ein schwer zu akzeptierender Zustand. Ich muss schmunzeln, denn das Jahr hat mich definitiv auch gelehrt, meinen inzwischen nicht mehr so perfekten Perfektionismus mit Humor zu betrachten. 
Positiv stimmt mich - ich muss gerade lachen, während ich das schreibe -, dass ich endlich ein paar Kilos verloren habe und meine Klamotten fast alle wieder passen. Während der Chemo hielt sich mein BMI bedingt durch Kortison und nach der Geburt von Lina doch eher im oberen, noch akzeptablen Bereich. Es ist ein Irrtum zu meinen, man nehme während einer Chemotherapie ab bis auf die Knochen, das gibt es sicher auch, aber ich habe nur Frauen kennen gelernt, die das Kortison trotz fehlendem Geschmackssinn zu Heißhungerattacken getrieben hat.
Meine Kinder sind mir die größte Motivation, nach vorne und nicht zurück zu blicken. Die drei kosten viel Energie, geben aber im Gegenzug auch mindestens das Doppelte an Freude zurück. Ich frage mich manchmal, wie ich das Jahr ohne sie gemeistert hätte…., ziemlich sicher nicht so gut, denn Kinderlachen ist die beste Medizin.


33. Dann mal los ... ab ins 2012

Vier Tage des neuen Jahres sind bereits verstrichen. Den Jahreswechsel habe ich doch glatt verschlafen. Fünf vor zwölf ließen sich meine Augen wohl nicht mehr dazu bewegen, noch etwas offen zu bleiben. Das war so nicht gewollt. Arrrgggll. Ärgerlich. Die Chemo-Tabletten und meine sonstigen Medikamente sorgen nach wie vor jeden Abend dafür, dass mir die Augen unfreiwillig zufallen ... früher oder später. Da Annika bedingt durch ihre Windpocken extrem unruhig ist, sorgt auch sie noch für schlaflose Nächte. Nun, irgendwann holt ihn sich der Körper dann eben, den überfälligen Erholungsschlaf, ... ohne Rücksicht auf etwaige Feste oder Feuerwerke oder gefüllte Sektgläser zum Anstoßen. Ein – bedingt durch Sentimentalitäten an Weihnachten und Silvester – sorgenvoller Blick in die Zukunft  und im Vergleich zu den vergangenen Monaten wieder einmal wesentlich mehr Tränen drücken meinen Energielevel zusätzlich, was sich dann wiederum auf meine Abwehrkräfte auswirkt.
Dauermüde bin nämlich nicht nur ich, sondern offensichtlich auch immer noch mein Immunsystem. Kaum habe ich mal für ein paar kurze Tage Viren, Bakterien und sonstigen gesundheitlichen Gefahren die Stirn geboten, da erwischt mich schon wieder was. Nach der langwierigen Erkältung mit Lungenentzündung war ich nur einige Tage mit Gesundheit gesegnet.
Diesmal bleibt mir die Stimme weg. Seit gestern bringe ich keinen Ton mehr heraus, nur kaum hörbares, kratziges Wispern ermöglicht mir noch ein absolutes Minimum an Konversation. An Telefonieren oder auch nur eine banale Bestellung beim Bäcker ist nicht zu denken. Darüber hinaus manifestiert sich erneut eine Erkältung. All das war früher nie ein Thema für mich, ich war die letzten dreißig Jahre kaum krank. Mein „Untermieter“ hat eindeutig für Unruhe bei meinen Abwehrzellen gesorgt, meine tägliche Dosis Zytostatika tut ihr Übriges. Und gegen die Erschöpfung komme ich irgendwie nicht an... 
Ein Kommentar, den ich heute zu meinem „Alle Jahre wieder“ - Blogpost erhalten habe, trifft es sehr gut. Caro schreibt mir da:

Aber wenn ich Ihnen noch etwas sagen darf: Sie haben wirklich, wirklich ein annus horibilis hinter sich - ein Neugeborenes, kleine Kinder, der Tod Ihrer sehr geliebten Mutter und diese Diagnose: es gibt Menschen, die daran zerbrechen. Sie sind, ein Jahr später, auf einem wunderbaren Weg. Darf ich Ihnen sagen, dass Sie vielleicht versuchen sollten, nicht in die Falle zu tapsen, in der wir Frauen oft sind? Dieses sofort wieder für alle und alles zuständig sein, die Krankheit als vage Bestrafung für eine nicht bestandene Aufgabe zu nehmen, zuviel auf einmal zu wollen etc. Ich glaube, Sie wissen, was ich meine und hoffe sehr, Sie verzeihen meine Belehrungen - wie Sie sich denken können, kenne ich das alles nur zu gut.

Als Belehrung empfinde ich es gar nicht. Danke, Caro, für Ihren Kommentar. Er zeigt mir auf, was ich im Grunde schon weiß, nur ... hmm, „wissen“ und „machen“ sind zwei verschiedene, wenn nicht gar konträre Sachen. Es war tatsächlich das schlimmste Jahr meines bisherigen Lebens und ob ich daran zerbreche, das wird erst die Zukunft wirklich zeigen. Bisher habe ich versucht, immer alles zu geben. Aber gerade deshalb, ... in die Falle getapst, das bin ich längst, besser gesagt, ich bin wohl nie aus der „Falle“ herausgekommen. Drei kleine Kinder mit all ihren Bedürfnissen, ich mit meinen hohen Erwartungen an mich selbst, ein Stück weit auch die hohen Erwartungen meines direkten Umfelds, enorm viele unüberschaubare bürokratische Hürden, die einem die schnelle Rückkehr in unsere Leistungsgesellschaft nahe legen, ein Gesundheitssystem, das Rehabilitation für solche Fälle nicht vorsieht, und letztlich der ganz normale „Alltagswahnsinn“ eines Fünf-Kopf-Haushalts, all das baut einen enormen Druck auf, dem ich mich schlicht nicht entziehen konnte und kann, nicht einmal während der Hardcore-Phasen der Chemotherapie. Wie oft habe ich in den vergangenen Wochen gesagt: „Ich wünschte mir ganz tief drinnen, ich könnte jetzt einfach für ein paar Wochen alles stehen und liegen lassen und ganz alleine irgendwohin gehen, wo ich zur Ruhe komme, wo ich Kraft tanken kann, wo man sich vielleicht auch intensiv um meine Seele kümmert.“ Mhm ... das Leben ist leider kein Zuckerschlecken, es geht nicht, ist hier nicht möglich, es sei denn, man finanziert sich einen Aufenthalt in einem Rehabilitationszentrum selbst. Ach, und nicht zu vergessen die Betreuung der Kinder während dieser Auszeit. Für eine fünfköpfige Mittelstandsfamilie ist das aber schlichtweg nicht machbar. Ich sollte nicht jammern, das möchte ich eigentlich auch gar nicht. Ich bin froh, hier in der Schweiz zu leben, einem Land mit extrem hohen medizinischen Standards.
Was mache ich also? Ich starte einen zweimonatigen Arbeitsversuch. Die Krankentaggeldversicherung ermöglicht mir einen sanften Wiedereinstieg in meinen Job. Ich bleibe nach wie vor krankgeschrieben, kann jedoch nach meinem Empfinden in Absprache mit meinem Arbeitgeber so viel oder auch so wenig arbeiten gehen, wie ich für tragbar halte. Ich bin froh, dass ich ohne Druck den Weg zurück finden kann.
Ohne Stimme und etwas nervös gehe ich heute Morgen zum Bus, der mich zur S-Bahn bringt. Ich will die ersten paar Stunden „Arbeit“ wagen. Es ist ein komisches Gefühl, zurückzukehren. Die letzten Meter des Weges vom Hauptbahnhof zur Schule werde ich langsamer, am liebsten würde ich umdrehen. Es steigt Angst auf, die Angst, dass ich mich nicht mehr zurechtfinde, die Sorge, dass sich meine aktuelle Unkonzentriertheit, meine Müdigkeit, meine Zerstreutheit negativ auf meine Arbeit auswirken. Ich sollte mir keinen Druck machen, ich bin in der luxuriösen Situation, mindestens zwei Monate Zeit zu haben, um zusammen mit meinem Onkologen zu entscheiden, ob ich wieder voll einsatzfähig bin oder nicht.
Das sei noch erwähnt: Mein Wiedereinstieg heute verlief ganz gut, selbst mein Schreibtisch hat sich kaum verändert. Die wenigen Kollegen, die während der Schulferien da sind, haben mir einen warmen, herzlichen Empfang bereitet und auf dem Regal über dem Schreibtisch steht noch immer meine Kaffeetasse, ... als wäre ich nie weg gewesen.


Mein Dream-Team und ich im Dezember 2011