Über mich

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Kanton Zürich, Switzerland
* geboren 1973 * glücklich verheiratet * Diagnose Brustkrebs vom Typ triple negativ im Alter von 38 J. * zum Zeitpunkt der Diagnose in der 33. Schwangerschaftswoche und Mutter eines 3 1/2-jährigen Sohnes und einer 2-jährigen Tochter

Bloggen - wozu?

Bloggen - wozu?

Nachdem ich die Hardcore-Therapie hinter mich gebracht habe, dient mir dieser Blog zum persönlichen Verarbeiten, vor allem auch rückblickend auf die einschneidendsten Erlebnisse. Darüber hinaus hoffe ich, Kontakt zu Leidensgefährtinnen zu knüpfen, die es da draußen in so erschreckend großer Zahl gibt. Und nicht zuletzt sind meine Blogeinträge auch für meine Familie und Freunde verfasst, die mich seit der Diagnose auffangen und mir tatkräftig zur Seite stehen. Der Blog ist leider nicht immer auf dem aktuellen Stand, ich arbeite aber im Rahmen meiner Möglichkeiten daran, das zu erreichen. Die Nummerierung der Titel entspricht der Chronologie der Geschehnisse. Hier könnt ihr lesen, wie sich im Januar 2011 mein Leben auf den Kopf gestellt hat.

Per E-Mail freue ich mich über Reaktionen, konstruktive Fehlermeldungen oder einfach einen lieben Gruß. Bitte hier klicken.

Das Neueste: ... es geht mir gut :-) und das auch dank eines weiteren Hakens auf meiner Bucket-List, mein eigener Hund bzw. Hündin, die mir seit einem halben Jahr so viel gibt und mich positiv fordert, erdet und mir hilft, wieder mehr (innere) Ruhe in mein Leben zu bringen.

12. Meine Perücke und ich

Meine Perücke und ich, wir haben ein ziemlich seltsames Verhältnis zueinander. Begonnen hat unsere Beziehung am 26. Februar 2011, da hatte ich das Vergnügen oder sinnvoller das notwendige Übel, mir ein Modell auszusuchen, das zu mir passt. Muss es überhaupt eine Perücke sein? Es gibt mehr als genug mutige Frauen in meiner Situation, die mit Glatze, Tuch, Hut oder Mütze auf die Straße gehen, was ich bewundernswert finde und wenn ich heute Frauen mit totalem Haarverlust sehe, dann fühle ich mich ihnen unweigerlich sehr verbunden. Leider bin ich selbst nicht so mutig. Ich fühle mich nicht schön, meine Kopfform passt nicht zu Haarlosigkeit, ich fühle mich nackt und ausgestellt und abgesehen davon friere ich ohne Haare.

Zurück zum 26. Februar: Meine Schwester fährt mit mir nach Stuttgart, eine alte Schulfreundin besuchen und bei der Gelegenheit in Deutschland eine Perücke kaufen. Warum nicht in der Schweiz? Nun ja, das Hochpreisland Schweiz ist auch in Sachen Perücken teuer. Und da ich aus Gründen der Praktikabilität keine angepasste Echthaarperücke möchte, sondern ein fertiges Synthetikmodell, bietet es sich an, ins günstigere Ausland zu fahren. Dann bleiben mir noch Mittel übrig, um Tücher, Kappen und andere Kopfbedeckungen zu erstehen. Die Kosten dafür übernimmt die IV bis zu einem Betrag von 1500 Franken.

Ich weiß schon jetzt, dass ich sie nur draußen tragen werde. Zu Hause werden entweder Tücher und Kappen mein Haupt schmücken oder ich setze auf pure Natürlichkeit. Wir finden den Laden und ich probiere eine nach der anderen auf. Es wird schnell klar, dass ich mir und meiner alten Frisur annähernd treu bleiben muss. Kurzhaarfrisur? Arrrglllll ... sehe aus wie sechzig, trotz modernem Schnitt. Farbwechsel gefällig? Rot, blond, schwarz vielleicht? Mmpfff ... blass, blasser, am blassesten. Ich nehme also letztlich sozusagen mein altes Ich, schulterlange, hellbraune, mit einigen blonden Strähnchen durchzogene glatte Haare.

Gerne trage ich sie nicht, meine Perücke, auch wenn sie den Schein wahrt und mir dadurch von außen nicht jeder gleich anmerkt, dass eine Chemo über mein Leben bestimmt. Ständig habe ich das Gefühl, ich müsste sie zurechtrücken. Was ist, wenn sie mir einfach vom Kopf schnalzt, wegspickt, wenn ich es nicht erwarte? Ich lache mich tot bei diesem Bild vor Augen, aber die Peinlichkeit möchte ich mir doch lieber ersparen.

Die Kinder sehen mich mehrheitlich ohne Kopfbedeckung. Yannick erzählt dann auch allen Bekannten, die uns draußen begegnen, dass Mamis Haare nicht „richtig“ seien, dass es eine Perücke sei, weil Mami Medikamente nehmen müsse. Er scheint fast ein bisschen stolz darauf zu sein. Beim ersten Mal muss ich loslachen, als ich das Gesicht der Person sehe, die diese kindliche Sicht serviert bekommt.

Sie sind wieder da ... meine Haare. Sie haben seltsamerweise schon wieder begonnen zu wachsen, als ich noch mitten in der Chemo steckte. Ich hatte mit einer viel länger dauernden haarlosen Zeit gerechnet. Anfangs traue ich mich nicht, mit den kurzen Stoppeln nach draußen zu gehen, meine Perücke gibt mir Sicherheit. Doch etwa Mitte August überredet mich mein Mann, es doch zu versuchen und über meinen Schatten zu springen. Er findet, es sehe gut aus. Nun ja, meine Meinung ist das nicht, die Haare sind noch weit davon entfernt, Frisur genannt werden zu können, aber ich mach’s, raus in die Welt mit Bubikopf. Mein Selbstbewusstsein wird überraschenderweise stärker dadurch. Subjektiv gesehen fühle ich mich permanent beobachtet, obwohl das wahrscheinlich gar nicht so ist, aber mit hoch erhobenem Kopf trotze ich den vermeintlich neugierigen Blicken.

In Verlegenheit bringe ich eine Migros-Kassiererin (oder eher sie mich?), die das Foto auf meiner Kreditkarte begutachtet, auf dem ich natürlich noch mit langen Haaren zu sehen bin. Ihr freundlich gemeinter, aber dennoch zu persönlicher Rat „Die langen Haare stehen Ihnen aber besser!“ wird von mir mit Ehrlichkeit kommentiert, nämlich, dass ich ihrer Meinung sei, aber nichts daran ändern könne, eine Chemotherapie bringe das so mit sich. Oh je, die arme Frau wird nie mehr etwas Persönliches oder Spontanes zu Kunden sagen, ihr Gesicht glüht in tiefstem Rot und sie hört gar nicht mehr auf, sich bei mir zu entschuldigen, betont, wie dumm sie sich fühle und wie unendlich peinlich ihr das sei. Nun ja, da haben wir beide mit unseren Äußerungen wohl etwas übers Ziel hinausgeschossen, sie tut mir im Nachhinein leid, hatte sie es doch wahrscheinlich nur nett gemeint.

Zeit, sich zu verabschieden, von dir, meiner Perücke ...

 

Leb wohl! Du hast mir in einer schweren Zeit wahrlich geholfen, es war oft wahnsinnig lustig mit dir, aber du hast mir auch unnötig Angst gemacht, Angst, dich ausgerechnet dann zu verlieren, wenn ich dich am dringendsten bräuchte. Es ist deshalb nur konsequent, unsere Beziehung hiermit zu beenden. So ist das nun mal mit Lebensabschnittspartnern. Bilde dir ja nicht ein, du könntest in mein Leben zurückkehren. „Lass uns Freunde bleiben!“ -  das klappt doch eh nicht. Mach dir also bitte keine Hoffnungen. Ich gehe meinen Weg fortan ohne dich. 

11. On the road again - Die Bestrahlung

Montags bis freitags täglich sieben Wochen lang düse ich zwischen meinem Wohnort im Züri Unterland und dem Triemli-Spital in Zürich hin und her, Fahrzeit für Hin- und Rückweg je nach Wahl des Verkehrsmittels zusammen ein bis zwei Stunden, Bestrahlungsdauer 2 Minuten, inklusive Vorbereitung zehn Minuten. Die Fachleute dort sind mir sehr entgegengekommen und haben mich bis auf wenige Ausnahmen vormittags eingeteilt, damit ich weniger Probleme habe, die Kinderbetreuung zu organisieren. Yannick ist seit einer Woche stolzes Kindergarten-Kind und somit vormittags betreut. Die zwei Mädels gehen an drei Tagen in der Woche in die Kinderkrippe, so dass ich nur noch für zwei Wochentage jemanden suchen muss, der auf sie aufpasst. Ich bin heilfroh, dass sich einige Freunde und Nachbarn bereit erklären, mir zu helfen.

Die Bestrahlungen sind in vollem Gange, fünf von dreiunddreißig habe ich bereits absolviert.
Inzwischen gewöhne ich mich daran, obwohl ich anfangs riesige Angst davor hatte, mehr sogar als vor der Chemotherapie. Wovor genau kann ich nicht mal sagen. Respekt habe ich vor den Geräten, die wie überdimensionale Roboter aussehen. Schon der Name der Abteilung im Spital lässt mich schaudern: Klinik für Radio-Onkologie und Nuklearmedizin. Etwas Unsichtbares, nicht Greifbares wirkt da auf einen ein. Vor Beginn des Bestrahlungsmarathons werde ich dreidimensional ausgemessen, ein Computertomograph surrt um mich herum, sicher zwanzig Minuten. Am Ende spüre ich meine Arme nicht mehr, ich muss sie ruhig nach oben halten und deshalb sind sie komplett eingeschlafen und taub. Ein paar Tage später sehe ich dann aus wie ein abstraktes Kunstwerk, weil man meinen gesamten Oberkörper mit Edding markiert hat. Die Markierungen helfen, mich tagtäglich millimetergenau zu positionieren, damit nicht fälschlicherweise zuviel von der Lunge bestrahlt wird. Die Bestrahlungen sollen die Wahrscheinlichkeit eines Rückfalls in der operierten Brust verringern.

Ein ganz banales Alltagsproblem lässt mich die Tage vor dem Start der Therapie immer wieder grübeln. Wie soll ich um Himmels Willen die folgenden Wochen ohne Deo überstehen? Viele mögen jetzt die Augen verdrehen und sagen: „Hat die Frau keine größeren Probleme?“ Doch, die habe ich, aber auch banale Probleme wie ein Deo-Verbot können einen verrückt machen. Draußen herrschen gerade Temperaturen um die 30 Grad und mehr. Wenigstens darf ich duschen, aber auch da sollte ich nicht übertreiben. Die Tatsache, dass derartige Problemchen wieder in mein Bewusstsein rücken, zeigt schon, dass ich auf dem Wege der Besserung bin, Besserung im Sinne von Zuversicht, Motivation und langsamer Rückkehr zur Normalität. I'm on the road again.

10. Plan B - Metronomische Chemo mit Tabletten

Es ist der 11. August 2011, an dem ich wieder eine meiner Hürden überspringe. Acht Chemozyklen ... ich habe sie hinter mich gebracht. Erfolgreich? Das kann leider niemand nachprüfen, schön wäre es, zu wissen, ob ..., nein eher, dass ...
Mhm... jetzt kommt das Absurde daran: Die meisten meiner Mitmenschen sagen mir, du musst erleichtert sein, du hast es geschafft, das Schlimmste hast du überstanden.
Nun ja, das bin halt mal wieder ich, ganz typisch, ich ticke manchmal anders: Ich bin traurig, verängstigt, fühle mich wie im luftleeren Raum, dass die Chemozeit so schnell vorbei ging. Warum? So sicher werde ich wohl nie mehr in meinem Leben sein. Die Wahrscheinlichkeit, dass während der Chemo ein neuer Tumor und/oder Metas gebildet werden, ist eher gering, aber danach ... ja, da erholen sich die Zellen und damit auch die unter Umständen resistenten Krebszellen. Klar, die operierte Brustseite wird noch bestrahlt, aber eben nur die Brust, nicht der ganze Körper. Was, wenn da schon ein paar fiese Schläferzellen irgendwo im Knochenmark oder im Gehirn sitzen und darauf warten, loszuschlagen? Die muss ich jetzt bekämpfen, auch prophylaktisch, nicht erst, wenn sich weitere Abgründe auftun und meine Lebenserwartung um ein paar Jahrzehnte runterschrauben.
Ich beschließe, meine Internetrecherche zum Thema zu vertiefen und meinen Onkologen zu beschwatzen, noch mehr zu machen. Ich halte viel aus, körperlich wenigstens, das habe ich in den vergangenen Monaten bewiesen.
Ich stoße auf unzählige Studien, die meisten unbrauchbar, aber da sind zwei, die mich hellhörig werden lassen. Blöd ist nur, dass die Kosten dieser Therapien erst von der Krankenkasse übernommen werden, wenn schon Metastasen vorhanden sind. Aber, mal ganz nüchtern gesagt, für 4 Monate mehr Leben will ich das Zeug nicht erst haben, sondern lieber jetzt, damit es gar nicht erst so weit kommt.
Der arme Doc, ich beschwatze ihn ohne Gnade, und die Ernüchterung folgt schnell. Meine Vorschläge machen aus seiner Sicht wenig Sinn, aber er ließe sich auf eine der beiden Therapien ein, auch wenn er der Meinung sei, dass es sich dabei nur um professurale Selbstbefriedigung handle. Schließlich seien manchen Forschungsgruppen Gelder zugesprochen worden, die noch ausgegeben werden müssten, und Forschung begebe sich oft auch in den Leerlauf, denn schließlich wolle Herr oder Frau Doktor auch noch habilitieren, eine Professur sei erstrebenswert und lukrativ, also müsse man veröffentlichen, ob es nun sinnvoll sei oder nicht.
Vielleicht hat er ja Recht, ich bin ja auch der Meinung, dass Hardcore-Akademiker manchmal den Blick fürs wirklich Praktikable verlieren. Aber ich habe dazu noch eine Dokumentation auf Arte gesehen, die bei mir den Eindruck hinterließ, dass die Risiko-Nutzen-Abwägung zu meinen Gunsten ausfallen würde. Wovon ich rede? Von jährlich zwei Infusionen mit einem Mittel gegen Knochenschwund (Zometa), das etwaige Schläferzellen einkapseln soll. Die Universität Essen verzeichnet damit nachweisbar Erfolge. Leider gibt es da auch ein paar Nebenwirkungen, ähnlich denen nach Chemo-Infusionen. Meinen Zahnarzt sollte ich dann auch noch informieren, denn während der Behandlung, die mehrere Jahre dauert, sollte bei Zahn-OPs immer mit Antibiotika behandelt werden, sonst könnte mein Kieferknochen „zerbröseln“, Kiefernekrose nennt sich das dann und das wäre sicher nicht gut für die Lebensqualität. Die Kosten? Die halten sich im Rahmen und die etwa 1000 bis 1500 Franken im Jahr zusätzlich werden wir hinbekommen. Demnächst wird meine Knochendichte gemessen und dann bestimmen wir den Zeitpunkt der Infusionen.
Onk(o)el Doc schlägt darüber hinaus vor, dass ich für ein Jahr metronomisch Chemo machen könnte, das heißt niedrig dosiert (zumindest niedriger als die Infus) zwei Zytostatika in Tablettenform, leider täglich. Der nüchterne Wissenschaftler in ihm betont, dass es sich dabei um ein wissenschaftlich nicht nachgewiesenes Erfolgsrezept handle, aber seine Erfahrung damit sei sehr gut und er würde mir damit nicht schaden, denn das wolle er ja gerade verhindern. Ich stimme zu, denn das kommt meinem Sicherheitsbedürfnis natürlich sehr entgegen, die Krebszellen kommen für ein Jahr unter Dauerbeschuss, ohne Pause. Leider bedeutet das andererseits, dass ich häufiger kontrolliert werden muss, vor allem meine Nierenwerte, weil die Medis den Nieren heftig zusetzen können.
Ich bin froh, dass jetzt endlich entschieden ist, wie es weitergeht, denn die Suche nach Möglichkeiten ist zeitaufwändig, anstrengend, eheschädigend und zermürbend.
Jetzt kann ich nach vorne blicken und auf meine Art auch neuen Mut fassen, denn der ist - nein besser war - mir zwischenzeitlich immer wieder abhanden gekommen.

9. Die schwarze Wolke (Rückblick)

Unbeweglich, gnadenlos und ohne einen Windhauch von Hoffnung bleibt sie über mir, die große schwarze Wolke. Sie bewegt sich keinen Millimeter und hängt bedrohlich über meinem Leben. Der 20. Mai 2011 ist ein sonniger Tag, der zunächst gut beginnt und nicht erahnen lässt, was am Abend noch folgen wird.
Vier von acht Chemozyklen habe ich hinter mir, der Countdown zurück ins chemofreie Leben beginnt. Am Mittag kommt dann Frau Külling von Onko Family Care vorbei, einer Organisation, die Familien mit an Krebs erkrankten Kindern oder Eltern unterstützt. Diese starke und wahnsinnig charismatische Frau verlor vor wenigen Jahren ihren an Krebs erkrankten 10-jährigen Sohn. Sie strahlt eine empathische Wärme aus und eine Lebensenergie, die sich auf mich überträgt. Sie will für mich eine freiwillige BegleiterIn organisieren und mich damit einmal pro Woche für einige Stunden entlasten, damit ich mal wieder etwas für mich tun kann, mal abschalten kann. Das Gespräch mit ihr baut mich auf, ich fühle mich verstanden und bin beeindruckt von Frau Küllings Tatkraft und Engagement vor allem angesichts ihres eigenen tragischen Schicksals.
Mein eigenes Schicksal unterzieht mich wenige Stunden später einer harten Prüfung.

Wir sind gerade dabei, die Kinder zu Bett zu bringen, meine Zwillingsschwester ist auch bei uns und erzählt noch eine Gute-Nacht-Geschichte. Da höre ich meinen Mann am Telefon sagen, dass ich gerade verhindert sei wegen der Kinder. Aber der Anrufer will mir gleich etwas sagen und kann nicht auf meinen Rückruf warten. Mein großer Bruder ist dran und bittet mich darum, mich hinzusetzen. Er teilt mir unter Tränen und mit Schmerz in der Stimme mit, dass Mama vor einer halben Stunde gestorben ist. Ich wiederhole schluchzend seine Worte für meine Schwester, beide sacken wir zusammen, der Schmerz ist unbeschreiblich. Mama, die immer bedingungslos für mich da war, auch in den vergangenen Monaten seit der Diagnose, Mama, die uns immer unseren frei gewählten Weg hat gehen lassen, soll nicht mehr da sein? Sie ist an gebrochenem Herzen gestorben, Ärzte nennen es Herzinfarkt, ich aber nenne es Herztod, verursacht durch meinen Krebs. Sie hat es nicht verwunden, dass ihr Kind diese Diagnose erhalten hat und vielleicht vor ihr sterben könnte, dass ihre geliebten Enkelkinder ohne ihre Mama aufwachsen könnten, sie hat mir nie wirklich geglaubt, dass ich das schon schaffen werde. Seit der Diagnose war sie ein anderer Mensch, gebrochen und ohne Lebenswillen.

Meine Schwester und ich fahren noch in der Nacht los, im Schockzustand fünfhundert Kilometer, um Mama noch einmal zu sehen, um bei Papa zu sein und um Totenwache zu halten, wie es im katholischen Bayern üblich ist. Die Fahrt überstehe ich wie im Delirium. Weit nach Mitternacht in Bayern angekommen traue ich mich erst nicht, mein Elternhaus zu betreten. Papa kommt heraus und wir fallen uns verzweifelt in die Arme. Mein Bruder und seine ganze Familie sind da, wir geben uns gegenseitig die nötige Kraft. Ich gehe hinein und sehe das erste Mal in meinem Leben einen toten Menschen. Sie sieht nicht mehr aus wie meine Mama, wohl friedlich und äußerlich ist sie es auch, aber sie wirkt leer. Ich ertrage es kaum und plötzlich sehe ich mich selbst da liegen. Ich habe das Gefühl, sie ist gestorben, weil ich ihr folgen werde, bald. Den nächsten Tag überstehe ich nur wegen der vielen Organisationsaufgaben. Ich entschliesse mich, das Totenbildchen für die Trauergäste selbst zu zeichnen. Mama hatte meine Bilder immer gerne. Also bringe ich irgendwie die Kraft und die Konzentration auf, einen grünen Engel für sie zu malen, einen Engel in ihrer Lieblingsfarbe.


In Liebe ... für meine Mama

8. No More Bad Hair Days (Rückblick)

Noch vor der Brustoperation lasse ich mir meine schulterlangen Haare kurz schneiden. Ich möchte irgendwie vorbereitet sein auf das, was unausweichlich kommen wird, den Verlust meiner Haare. Manuela, meine Coiffeurin, bekommt völlig freie Hand, sie darf sich an mir austoben, schnitttechnisch und farblich, ich werde die Frisur nicht lange behalten. Aber sie hält sich zurück. Das Ergebnis im Spiegel ist befremdlich für mich, das bin einfach nicht ich.
Zwei Wochen nach der ersten Chemo fängt es an, die Haare fallen büschelweise aus und als einerseits die Dusche zu einem dauerhaften Stausee wird und andererseits von einer Frisur nicht mehr die Rede sein kann, lasse ich mir wie vorher abgesprochen von meinem Mann den Kopf kahl rasieren. Wir machen ein Abschiedsfest daraus. Ganz bewusst sind die Kinder dabei, auch meine Schwester und meine Eltern sind da. Mein Vater kann den Anblick nicht ertragen und zieht sich zurück, meine Schwester versucht mich mit Witzen darüber aufzumuntern und auch mein Mann scheint Spass daran zu haben. Wir haben vorher viel darüber gesprochen. Mama steht mir bei, aber ich spüre, dass es sie hart trifft, sie wäre gerne an meiner Stelle und würde die Last für mich tragen. Den beiden Großen, unserer 2-jährigen Tochter und unserem fast 4-jährigen Sohn, erkläre ich, dass ich Medikamente nehmen muss, die dafür sorgen, dass das große Aua an meiner Brust weggeht, die aber so stark sind, dass mir die Haare ausfallen. Die Haare würden erst wieder wachsen, wenn ich die Medikamente nicht mehr nehmen muss, aber das würde eine Weile dauern. Yannick nimmt es mit kindlicher Naivität und meint: „Du, Mami, dann musst du aufpassen, wenn der Wind weht, der bläst doch dann deine Perücke weg. Aber mach dir keine Sorgen, Mami, ich sause los und hole sie dir dann wieder.“
Perücken sind jedoch wetterfester, als man denkt, und sie haben einen unschätzbaren Vorteil, es gibt no more bad hair days.

(26. März 2011)

7. Chemo - Freund oder Feind? (Rückblick)

Die Tage nach dem Gespräch mit meinem Onkologen verbringe ich in einem tiefschwarzen Loch mit Sturzbächen an Tränen und bemitleide mich selbst. Ich verzweifle bei dem Gedanken, dass ich diese Welt vielleicht schon bald verlassen muss, gerade jetzt, wo alles so schön sein könnte, ich fühle mich wohl im Job, habe meine eigene Familie, die ich über alles liebe. Motivationssprüche von außen nach dem Motto „DU MUSST KÄMPFEN!“ ziehen mich nur noch mehr ins Loch. Das weiß ich nämlich schon, nur leider klemmt der Schalter gerade, der mir einen positiven Energieboost gibt. Wie lerne ich nur damit umzugehen, dass die reelle Möglichkeit besteht, dass mich diese blöde Krankheit dahinrafft. Ich male mir aus, wie meine letzten Tage aussehen würden, wie ich an irgendwelchen Maschinen hänge, um noch ein paar Tage hinzuzugewinnen, wie meine Kinder und mein Mann leiden würden.
STOPP ....! So will ich mein Leben nicht verbringen, mit der permanenten Panik und diesem Gefühl der Verzweiflung. Selbst wenn alles schlimmer als schlimm kommen sollte, dann will ich doch stark sein, für mich, aber auch für die Menschen, die ich liebe. Aber wie schaffe ich das, ich fühle mich so unendlich leer.
Ich bekomme Ratschläge von allen Seiten, solle doch zu einem Medium, zu einer Wahrsagerin oder zur Hypnose oder zu einem Psychologen oder die Misteltherapie machen. Oder, oder, oder ... und, und, und ...
In meiner Verzweiflung kontaktiere ich meine Akupunkteurin, die mich in der Vergangenheit schon aufgerichtet hat und vereinbare einen Termin. Dann surfe ich im Internet und finde eine Hypnotiseurin in meiner Gemeinde, die mir am Telefon gleich sympathisch ist. Die Suche nach einer Psychologin gestaltet sich schwieriger und wird auch länger dauern. Wie ich all die Termine mit den drei Kindern - vor allem mit dem Baby - hinbekommen soll, weiß ich noch nicht. Aber ich weiß, dass ich meine „alte“ Motivation zurückhaben muss, um wieder gesund zu werden. So verbringe ich die Tage bis zur ersten Chemo mit dem Lesen zahlreicher Motivationsbücher, Erfahrungsberichte, Broschüren und vielem mehr. Die Akupunktur und auch die Hypnose zeigen Wirkung, ich gewinne allmählich wieder Stärke zurück, aber die übermenschliche Kraft, die ich nach der Diagnose spürte, die bleibt diesmal aus.
Mit meiner Hypnotiseurin bespreche ich immer wieder die Bilder, die sie mir während der Sitzungen suggerieren soll. Ich stelle mir die Chemo-Infusionen wie farbiges Licht vor, das in meinen Körper strömt. Heilendes Licht, das meinen Körper und meine Seele erhellt und so die gesunden Zellen stärkt und alle kranken Zellen aufspürt und in gute Zellen verkehrt. Die Chemo soll mein Freund sein, der mich gesund macht, nicht mein Feind, der mir weh tut und mich vernichtet.
Mit diesem Bild vor Augen starte ich also in die erste Chemo. Mein Mann begleitet mich. Der Chemo-Raum des Brustzentrums ist klein, etwa fünf bis sechs Frauen finden Platz. Er ist zwar mit den weißen Wänden und mit dem Blick zur Mitte des Raumes nicht wirklich heimelig, aber die Fröhlichkeit der Plegefrauen gleicht das mehr als aus. Neben meinem Mann begleiten mich noch Rossi, das Stoffpferdchen meines Sohnes und mein Notizbuch, das mir Tagebuch und Erinnerungshilfe zugleich ist.
Die Infusion ist angehängt und „Campari“, wie es die Schwestern nennen, strömt über einen Port, der mir beim Brustbein eingesetzt wurde, in meine Venen. Ich sehe mir die anderen Frauen, meine Leidensgenossinnen, an, und stelle fest, dass sie alle ohne Ausnahme eher griesgrämig blicken. Steht mir das nun auch bevor, ein griesgrämiger, leerer Blick? Ich nehme mir nun erst recht vor, die Chemos als meinen Freund zu betrachten. Ich verspüre nicht das Bedürfnis zu reden, also fange ich an, in mein Notizbuch zu kritzeln. Nach und nach entsteht eine Zeichnung, Rossi, das gestreifte Stoffpferdchen, ist darauf in Siegerpose zu sehen, umgeben von einem Blumenmeer und in strahlendem Sonnenlicht. Daneben schreibe ich einen kleinen Tagebucheintrag: „Mein Kampfgeist ist zurück. Bin selber überrascht, wie positiv und locker ich’s nehme. Glaube daran, dass ich die schlimmsten Nebenwirkungen abwehren kann. Und wenn nicht, dann nehme ich sie an. Die Chemo HILFT mir, sie ist mein Freund. Und deshalb sage ich, dass ich das mithilfe der Chemo schaffe. Vielleicht überrasche ich mich und alle und habe überhaupt keine Nebenwirkungen, das wärs doch.“ (Tagebucheintrag vom 3.3.2011)
Nun ja, ich schlucke dann bereits auf dem Heimweg im Auto diverse Tabletten, um die einsetzenden Nebenwirkungen der Zytostatika einzudämmen und – dem Doc gehorchend – meinen Körper ja nicht auf Nebenwirkungen zu konditionieren, also runter mit Motilium und Paracetamol gegen die Übelkeit und die Kopfschmerzen. Gegen Schwindelanfälle und Hitzewallungen gibt es leider kein wirksames Gegenmittel und gegen Panikattacken und unbändige Müdigkeit auch nicht, aber ins Bett kriegt mich die Chemo tagsüber dann doch nicht. Denn dann wird „frau“ erst richtig krank. Leider übertrumpft mich die Müdigkeit meist abends auf dem Sofa schlagartig, sobald ich mich hinsetze. Innerhalb weniger Sekunden schlafe ich felsenfest ein. So soll es mir die nächsten fünf Monate ergehen. Verschärft wird die Müdigkeit noch durch Lina, die in den ersten Lebenswochen nachts ihre Flasche verlangt. Ich segle nur noch auf Halbmast.

6. Was heißt schon "negativ"? (Rückblick)

Unaufhörlich geht es weiter. Eine Woche nach der Geburt, zwei Wochen nach der Brust-OP, findet die Suche nach Metastasen statt. Mir ist mehr als mulmig. Was, wenn sie jetzt etwas Verdächtiges finden? Was, wenn all der Optimismus der letzten Tage zerstört wird?
Die PET/CT-Untersuchung ergibt, dass der Krebs wahrscheinlich noch nicht gestreut hat. Puuh, ich weine vor Erleichterung. Das wäre mein Todesurteil gewesen. Triple negativ und mit Metastasen bedeutet knallhart noch eine durchschnittliche Überlebenszeit von max. zwei Jahren. Leider bedeutet triple negativ darüber hinaus, dass auch nach Chemo und Bestrahlung die Wahrscheinlichkeit eines Rückfalls oder der Metastasenbildung massiv erhöht ist im Vergleich zu anderen Brustkrebstypen.
Das alles erfahre ich ein paar Tage nach der PET/CT-Untersuchung von meinem Onkologen,
einem sehr großen Mann von kräftiger Statur und mit einem speziellen Charme, der als nüchterner Wissenschaftler auftritt und die schmerzhafte Wahrheit sachlich verpackt zum Ausdruck bringt. Wie gesagt, der Tumor sei triple negativ, man wisse von der Aggressivität dieses Typs und von der eingeschränkten Therapiemöglichkeit. Triple negativ... was bedeutet das eigentlich? Was ist so negativ? Ich dachte ja immer, dass Brustkrebs heutzutage kein Drama mehr sei. Man hört immer nur von Frauen, die es geschafft haben. Auch Zahlen bekomme ich regelmässig in Gesprächen mit Bekannten zu hören, da ist die Rede von 95% Heilungserfolgen und so. Darauf und auf den positiven Aussagen der Senologin (Gynäkologin am Brustzentrum, die mich operiert hat) gründet bisher mein unsäglicher Optimismus... unwissend und naiv.
Nun ja, da ist sie also nun plötzlich, die Erkenntnis, dass ich nicht einfach Brustkrebs habe, sondern wohl den gefürchtetsten aller Brustkrebs-Arten, über den die Wissenschaft noch am wenigsten weiß. Damit sei die Frage beantwortet, was denn so negativ ist. Negativ ist der Typ aber nicht nur im übertragenen Sinn, sondern vor allem in dreifacher Hinsicht bezogen auf seine Charakterisierung: Er ist hormonunabhängig, hat also Negativität für Östrogen- und Progesteronrezeptoren und er ist HER2-negativ. Somit bleiben mir Hormontherapien und eine Behandlung mit Herceptin verwehrt.
Wie in Trance bekomme ich mit, wie mir mein Onkologe die bevorstehende Chemotherapie erklärt. Es müsse eine härtere Variante sein wegen der Aggressivität des Tumors und eine Kombination aus verschiedenen Chemos, da man nicht sicher wisse, welche Chemo bei mir zum Erfolg führe. Also soll ich vier Mal alle drei Wochen per Infusion einen Chemo-Cocktail, dann weitere vier Mal eine andere Chemo und während der ganzen Zeit jeweils noch Chemotabletten in hoher Dosis für jeweils zwei Wochen nach jeder Infusion bekommen. Immerhin, eine Woche zwischendrin darf oder besser soll sich mein Körper erholen.
Und wann erholt sich meine Seele? Die befindet sich gerade in einem schwarzen Loch.


5. Danke...

Danke... @Auguste für den Hinweis, meinem Mann für seine Unterstützung und Martina McBride für den Song


38, 3 Kinder, Krebs, Angst, Liebe.... treffender könnte ein Song kaum sein. Und wunderschön noch dazu.

Anzuhören auf Youtube:
Bitte einfach hier klicken :-)


Martina McBride
"I'm Gonna Love You Through It"

She dropped the phone and burst into tears
The doctor just confirmed her fears
Her husband held it in and held her tight
Cancer don’t discriminate or care if you’re just 38
With three kids who need you in their lives
He said, "I know that you’re afraid and I am, too
But you’ll never be alone, I promise you"

When you’re weak, I’ll be strong
When you let go, I’ll hold on
When you need to cry, I swear that I’ll be there to dry your eyes
When you feel lost and scared to death,
Like you can’t take one more step
Just take my hand, together we can do it
I’m gonna love you through it.

She made it through the surgery fine
They said they caught it just in time
But they had to take more than they planned
Now it's forced smiles and baggy shirts
To hide what the cancer took from her
But she just wants to feel like a woman again
She said, "I don't think I can do this anymore"
He took her in his arms and said "That's what my love is for"

When you’re weak, I’ll be strong
When you let go, I’ll hold on
When you need to cry, I swear that I’ll be there to dry your eyes
When you feel lost and scared to death,
Like you can’t take one more step
Just take my hand, together we can do it
I’m gonna love you through it.

And when this road gets too long
I'll be the rock you lean on
Just take my hand, together we can do it
I’m gonna love you through it.
I’m gonna love you through it. 

4. Dein Weg ins Leben (Rückblick)

Dein Weg ins Leben,
ich für dich
und du für mich.

Kaum ein paar Stunden von der OP zu Hause, mache ich mich daran, den Wehen auf die Sprünge zu helfen. Das Baby muss drei Wochen vor dem Geburtstermin zur Welt kommen, es ist dann keine Frühgeburt mehr. Die Zeit drängt und ich soll schnellstmöglich mit der Chemo beginnen. Einige Versuche scheitern schon im Ansatz ... durch die Wohnung zu springen gestaltet sich schwierig mit einer frischen OP-Wunde, auch das scharfe Curry hilft wohl erst, wenn die Maus startklar ist, das Treppensteigen powert nach dem Spitalaufenthalt aus, bewirkt nur nichts, aber da gibt es ja noch Großmutters Wunderwaffe aller Hebammen der alten Schule ... den Wehencocktail. Yummie ... wie lange habe ich schon keinen Cocktail mehr geschlürft. Vor meinem inneren Auge taucht ein Caipirinha auf und eine Pina Colada unter einer sanft wippenden Palme am Strand wäre auch nicht zu verachten. Schnell besorgen wir die Sachen in der Migros und der nächstgelegenen Apotheke. Die Mischung sieht optisch lecker aus ... meine Geschmacksnerven lassen sich davon jedoch nicht täuschen ... leider. Ich würge also den Mix aus Rizinusöl, Aprikosensaft, Sekt und Eisenkraut hinunter ... einen halben Liter ... mit jedem Schluck schmeckt er widerlicher. Aber ich will um jeden Preis natürlich gebären und am liebsten ohne chemische Anstupser, also muss ich da durch. Es soll noch schlimmer kommen ... den ganzen Tag ist mir zwar kotzübel, aber keine einzige Wehe meldet sich ... bis ... ja bis zum Abend ... da geht es plötzlich schmerzhaft heftig los mit Wehen im 2-Minuten-Takt. Leider tut sich nach 2 Stunden nichts mehr - Ruhe unterhalb des Bauchnabels.
Drei Tage nach der Spitalentlassung gebe ich mich geschlagen und wir leiten die Geburt mit Tabletten ein. Mein Mann begleitet mich wie auch schon bei den ersten beiden Geburten vor dreieinhalb und vor zwei Jahren. Meine Angst vor noch heftigeren Wehen durch die Tabletten bestätigt sich nur zum Teil, ich habe wohl einfach vergessen, wie schmerzhaft Wehen nun mal sein müssen, so oder so. Nicht nur mein Mann zum wiederholten Male, auch die OP-Wunde an der Brust besteht ihren Belastungstest, denn darauf nehme ich bei meinen Versuchen, die Wehen zu ertragen, keine Rücksicht. Zermürbend ist, dass sich der Muttermund auch nach Stunden trotzdem nicht öffnet. Erst die Sprengung der Fruchtblase sorgt dafür, dass fünf Viertelstunden später Babygeschrei den Raum erfüllt. Da ist sie nun in meinen Armen, meine kleine Lina, gesund und wunderschön verknittert. Ich weine unaufhaltsam Tränen vor Glück, Tränen der Wut, Tränen der Angst und Sorge, Tränen der Erschöpfung, Tränen der Liebe.
Dann kommt er auch schon, der Moment, an dem ich loslassen muss. Stillen ist nicht möglich, da ist die verletzte Brust einerseits, die bevorstehende Chemotherapie andererseits. Lina aber weint und will saugen und die Flasche lässt auf sich warten, es bricht mir das Herz, ihr nicht das geben zu dürfen, was ich ihren Geschwistern geben konnte, sie schreien lassen zu müssen anstatt ihr sofort diese natürliche Geborgenheit zu schenken. Darum entscheide ich nun auch definitiv, dass ich nicht im Spital bleibe, sondern das Wochenbett zu Hause verbringe. Ich fühle mich körperlich stark genug, aber seelisch zu schwach, um die anderen glücklichen und sehr wahrscheinlich stillenden Mütter zu ertragen, mit denen ich das Zimmer teilen würde. Nicht mal sechs Stunden nach der Geburt sind wir zu Hause ... unsere kleine Familie von nun an zu fünft. Ich wünsche mir nichts sehnlicher, als dass wir zu fünft bleiben.

Dein Weg ins Leben,
ich für dich
und du für mich.
Vier große Hände,
die dich halten,
dir Wärme geben.
Zwei kleine Hände,
die mich tragen,
mir Hoffnung schenken.







Lina, geboren am 11.02.2011 um 12.45 Uhr, 3480 g, 50 cm



3. OP - wie OPtimismus (Rückblick)


Ein Optimist ist in der Regel ein Zeitgenosse, der ungenügend informiert ist.
(John Boynton Priestley)

Genau zwei Wochen nach der Diagnose findet die operative Entfernung des Tumors statt. Die Tage vorher bringe ich dadurch herum, mich nebst den vielen Terminen in möglichst viele Aufgaben zu Hause zu stürzen, meist bis tief in die Nacht, denn an Schlaf ist noch immer nicht zu denken, aufräumen, alles für meinen Mann und die Kinder organisieren, vorkochen, Wäsche waschen und bügeln, packen, mit den Kindern spielen, zwischendurch Bücher zum Thema Brustkrebs und unzählige Broschüren dazu wälzen. Die Nächte verbringe ich grübelnd in den Armen meines Mannes, wir sind uns näher denn je in der Zeit nach dieser Schreckensnachricht.
Ich stehe wie unter Strom und spüre eine Energie in mir, wie noch nie in meinem bisherigen Leben. Bis zur OP möchte ich möglichst viel erledigt haben und gut vorbereitet sein. Wer weiß, was nach der OP kommt. Sicher ist, ich werde wohl erstmal eine ganze Weile nichts Anstrengendes machen dürfen, nichts Schweres heben. Außerdem ist jetzt schon klar, dass das Baby ein paar Tage nach der OP auf die Welt kommen soll, sobald ich mich einigermaßen erholt habe, damit ich mit der Chemo starten kann. Die operierende Ärztin, die auch schon die Biopsie durchgeführt hat, versprüht einen Optimismus, der auf mich abfärbt. So gehe ich mittlerweile voller Tatendrang und mit einem positiven Blick auf die Zukunft durch den Alltag. Noch. Meine größte Sorge gilt dem Baby, das die Narkose auch abbekommen wird. Und ich habe generell Angst, operiert zu werden. Das ist mein erstes Mal. Aber abgesehen davon bin ich zu diesem Zeitpunkt überzeugt, dass ich den Brustkrebs besiegen werde.

Mein Bruder und meine Schwägerin reisen an, um während meiner Abwesenheit für die Kinder zu sorgen. Eine große Sorge weniger. So kann mein Mann weiter arbeiten und dennoch häufig bei mir sein. Er steht massiv unter Druck in seinem Job und muss nun mehr denn je unsere Existenz sichern, Ferien wird er noch mehr als genug nehmen in nächster Zeit, um mich und die Kinder aufzufangen. Mein Mann fährt mich dann am Morgen des 1. Februar 2011 ins Universitätsspital Zürich. Das Bett im Zweierzimmer steht direkt am Fenster mit Blick auf Zürisee und die Glarner Alpen. Wären da nicht der typische Krankenhausgeruch und das Gewusel des Pflegepersonals, könnte man fast der Illusion verfallen, man sei in den Ferien... bei dieser Aussicht auf die im Sonnenlicht reflektierenden Berggipfel und die Segelboote auf dem See. Mir ist mulmig, als sich mein Mann von mir verabschiedet, wir halten uns lange in den Armen, ich wünschte, er könnte bei mir bleiben und mich in den OP-Saal begleiten.
Der Tag ist gefüllt mit Untersuchungen und Besprechungen. Ich komme gar nicht zum Nachdenken, das ist auch gut so. In der Nacht bin ich unruhig , neben den vielen Gedanken fällt es mir trotz Oropax schwer, Schlaf zu finden. Meine Zimmernachbarin ist über 80, sehr nett und eine Seele von Mensch, aber leider hat sie einen sehr lauten und unruhigen Schlaf. Meine kleine Maus im Bauch macht sich auch unaufhörlich mit Strampeln bemerkbar, so als wollte sie mir zeigen, dass wir das gemeinsam schaffen werden.
Am Morgen bekomme ich eine Beruhigungstablette, die mich bereits so müde macht, dass ich kaum mitbekomme, wie man mich in den OPS bringt. Ich werde in Seitenlage operiert, damit das Baby nicht auf die Vena Cava drückt und für uns beide die Blutversorgung sichergestellt ist.

Ich höre Stimmen und spüre einfach nur Schmerzen. Panik steigt in mir hoch. Ich merke, dass die OP vorbei ist und ich wieder auf einem Bett liege. Aber warum tut das so unendlich weh? Ich kann einfach nur weinen und weiß irgendwie nicht so recht, wo ich bin, was los ist. Wieder eine Panikattacke. Die Pflegenden im Aufwachraum kommen sofort und geben mir mehrere starke Schmerzmittel, bis ich endlich ruhiger werde. Ich habe Angst ums Baby, aber man beschwichtigt. Sie rufen meinen Mann an, er soll kommen, während ich wieder wegdämmere. Er kommt schnellstmöglich und bleibt den Rest des Tages an meiner Seite. Noch habe ich keine Ahnung, was genau operiert wurde und wie ich nun aussehe. Aber im Grunde ist es mir egal, ich will einfach wieder gesund werden. Ich hatte die Ärztin vorher angewiesen, nicht zu vorsichtig zu sein und lieber mehr zu entfernen als zu wenig.
Zurück im Zimmer erhole ich mich erstaunlich schnell und würde am liebsten aufstehen, aber die Pflegenden lassen mich nicht. Dann kommt die Ärztin und informiert mich über den Verlauf der OP und das vorläufige Ergebnis des Schnellschnitts, der noch während der OP im Labor untersucht wurde:

Triple-negativer Tumor (Negativität für Progesteron- und Östrogenrezeptoren, Her2-negativ), 2,1 cm groß, 13 Lymphknoten axiliär enfernt, davon zwei mit Tumorzellen, TNM-Klassifikation pT2, pN1a, G3

Zunächst kann ich mit all dem wenig anfangen, bin etwas geschockt, dass auch Lymphknoten entfernt wurden, aber noch bin ich ruhig, denn die Ärztin strahlt immer noch unbändigen Optimismus aus, und das stimmt auch mich optimistisch, zumal ich die OP-Wunde zu Gesicht bekomme und positiv überrascht bin. Abgesehen von einer etwa zehn Zentimeter langen Narbe sieht meine Brust fast wie vorher aus, nur etwas kleiner. Mein Mann hatte gleich nach der Diagnose zu mir gesagt: „Mach dir bloß keinen Kopf wegen körperlicher Veränderungen. Ich liebe dich und nicht deine Brüste oder deine Haare.“ Trotzdem bin ich irgendwie erleichtert, dass die Veränderung minimal ist.
Ich bin auch mehr als froh, dass das Baby wohlauf ist und keine Komplikationen auftraten, die einen Notkaiserschnitt zur Folge gehabt hätten, der mir durch die Vollnarkose jegliches Geburtserlebnis genommen hätte. Einer natürlichen, wenn auch eingeleiteten Geburt in einigen Tagen scheint nichts im Wege zu stehen. Ich werde täglich ans CT gehängt und etwaige Wehen und die Herztöne des Babys überwacht. 
Die Schmerzen halten sich nach der OP dank Schmerzmitteln in Grenzen, nach zwei Tagen verzichte ich weitestgehend auf weitere Mittel, um das Baby nicht noch mehr „zuzudröhnen“, auch wenn man mir permanent versichert, dass es dem Baby nicht schaden würde. Wer weiß das schon so genau, das Baby kann es uns ja nicht sagen und bei späteren Schädigungen heißt es dann, sie hätten andere Gründe.

In der zweiten Nacht nach der OP bekomme ich Wehen, die immer stärker werden und mich an die Geburt meines zweiten Kindes erinnern. Da ging es nämlich plötzlich sehr schnell nach „solchen“ Wehen. Ich warte erstmal ab, schreibe meinem Mann eine SMS, damit er im Zweifel vorbereitet ist. Er schläft aber scheinbar tief und fest. Irgendwann habe ich alle 2 Minuten Wehen und werde doch nervös. Die Pflegenden sind unsicher, ich liege zwar in der Gynäkologie, aber hier sind Schwangere eher die Ausnahme. Die sind in der Geburtenabteilung zu finden. Eine Hebamme kommt und macht ein CT. Schnell gibt es Entwarnung... nur Fehlalarm. Die nächsten Tage bleibt es ruhig im Bauch.
Sechs Tage nach dem Eingriff darf ich das Unispital dann endlich verlassen.

(Blick aus dem Spitalfenster am 5.2.2011)

2. „Organisation ist das halbe Leben“ – aber eben nur das halbe (Rückblick)

Die Tage direkt nach der Diagnose zeigen schon auf, was auf uns zukommen wird ... ein Untersuchungs- und Besprechungsmarathon ohne Ende ... mit der dazugehörenden Organisation der Kinderbetreuung für unsere beiden „Zwerge“, die zwar an drei Tagen in der Woche (meinen Arbeitstagen) in der Krippe sind, aber eben nur an drei und jemand muss sie ja auch bringen und abholen. Normalerweise macht das mein Mann, aber er möchte mir auch bei den meisten Untersuchungen und Besprechungen zur Seite stehen. Ich bin froh, dass er mitkommt.
Und ich und meine Gefühle? Eine Achterbahnfahrt ... da wechseln sich viele Tränen ab mit dem Bewusstsein, dass ich das schon alles schaffen werden, dass ich über mich hinauswachsen kann. Und so ist es dann auch, zumindest in den Wochen, die auf die Diagnose folgen.
Neben der Tatsache, dass ich leben will, gilt meine Hauptsorge unserer Ungeborenen und den beiden Kindern. Werden sie das alles überstehen, ohne Schaden zu nehmen? Wie schaffe ich es, die ganzen Termine wahrzunehmen und mich um die Kinder zu kümmern? Die Terminvergabe bei einzelnen Institutionen kommt uns auch nicht gerade entgegen. So muss ich mir gerade beim Unispital, wo Abklärungen bzgl. der Gefahren fürs Baby im Bauch getroffen werden sollen, anhören, dass ich die vorgeschlagenen Termine gleich morgen wahrnehmen könne oder dann halt erst in zwei Wochen wieder, die Chefärztin habe einen vollen Terminkalender. Chefärztin? Mir doch egal. Ein Oberarzt kann mir sicher genauso helfen. Aber nein... offensichtlich ist mein Fall dann doch speziell genug, dass sie die Chefs selber bemühen wollen. Nun ja, jedenfalls schaffe ich es, der Dame am Telefon ruhig, aber doch sehr bestimmt zu sagen, dass ich mir dieses Schicksal wahrlich nicht ausgesucht habe, dass ich Verantwortung für zwei kleine Kinder habe, für die ich nicht so schnell einfach tagsüber einen Babysitter finde und dass bereits in einigen Tagen die OP zur Tumorentfernung vorgesehen ist und ein Termin in zwei Wochen kaum Sinn macht. Raus wars... und die Dame sprachlos... aber nur kurz... sie rufe zurück. Hat sie dann aber nicht, sondern ihre Kollegin mit alternativen Vorschlägen. Wie eine Bittstellerin sollte ich mich in der Zeit, die vor mir liegt, noch häufiger fühlen ... ein Gefühl, das mir widerstrebt, aber Stolz ist da wohl fehl am Platz.
Es wird schnell klar, dass wir Unterstützung brauchen. Also klemmen wir uns ans Telefon und fragen bei Familienhilfe der Gemeindeverwaltung, bei der Krebshilfe, bei verschiedenen Organisationen und Stiftungen an. Schnell kommt die Erkenntnis, dass man zwar Verständnis und Mitgefühl für unsere Situation hat, aber Hilfe gäbe es bei unserer „guten“ wirtschaftlichen Situation nicht. Was machen? Lebensstandard runterschrauben, also Wohnung und Auto verkaufen, die Kinder aus der Krippe nehmen und nicht mehr arbeiten? Nein, das würde unser Familienglück nur noch mehr belasten, Kontinuität und ein Beibehalten der Strukturen sollen uns und vor allem den Kindern gerade jetzt Sicherheit geben. Also starte ich einen Aufruf in meinem Facebook-Profil und erfahre beides: Zahlreiche konkrete Hilfsangebote auf der einen Seite, Unverständnis auf der anderen Seite, wie ich denn auf diese Weise meine Diagnose bekannt geben könne, so unpersönlich. Nun ja, an dieser Stelle sei ein Einblick in meine Seele gewährt... es ermüdet ungemein, ein solches Trauma selber zu verkraften und dann auch noch jedem einzelnen Freund/Kollegen/Bekannten persönlich zu erklären, was los sei und um Hilfe zu bitten. Dazu fehlt auch die Zeit, die Organisations- und Untersuchungsmühle rattert ja bereits unaufhörlich und gnadenlos.
Also muss ich in die Offensive gehen ... ich, diejenige, die grundsätzlich defensiv durchs Leben geht.
Ich erstelle einen Betreuungsplan und teile die Personen, die ihre Hilfe anbieten, in einen Notfallplan vor allem für die Zeit der geplanten Chemotherapie ein. Es soll sich später herausstellen, dass der Betreuungsplan einige Wochen sehr gut standhält. Je länger die Therapie dauert, um so häufiger erhalte ich dann aber Absagen. Irgendwie verständlich, jeder hat seine eigenen Probleme und Verpflichtungen. Es gibt Wochen, in denen ich am Verzweifeln bin, weil ich bei zehn Absagen angelange und keine Kraft mehr habe, weiter anzufragen. So ziehe ich mich immer häufiger „in meine Höhle“, wie es mein Mann nennt, zurück. Später im Verlauf der Chemo öffnen sich dann jedoch Türen zu Menschen, die ich bis dahin gar nicht gekannt habe und die mir dennoch ihre Unterstützung anbieten. Dazu später einmal mehr.
Zurück zum Anfang: Die Tage nach der Diagnose sind also gekennzeichnet durch schlaflose Nächte, viele Sorgen, unendlich viele Termine, aber auch Momente tiefer Liebe zu meinen Liebsten ... meinem Mann und den Kindern, meiner Familie, meinen Freunden.

1. Der Beginn des "Weges" (Rückblick)

Der 19. Januar 2011, der 40ste Geburtstag meines Mannes, wird sich wohl in mein Gedächtnis einbrennen.
Mit meinem dritten Kind schwanger freue ich mich auf den Abend, wir haben einen Babysitter für die beiden „Großen“, 2 und 3 ½ Jahre alt. Anlässlich des runden Geburtstags haben wir geplant, fein essen zu gehen. Es soll anders kommen.
Rückblick: etwa 2 Wochen vorher taste ich aufgrund eines wiederkehrenden Stechens in der rechten Brust diese unter der Dusche ab und spüre einen Knoten. Da ich schwanger bin, vermute ich zunächst, dass es sich um eine Verhärtung der Milchdrüsen handeln könnte oder eine Verkalkung oder so. Erstmal bin ich nicht beunruhigt, habe aber doch den Drang, meine Gynäkologin bei der zwei Tage später stattfindenden Schwangerschaftskontrolle darauf anzusprechen.
Die Ultraschalluntersuchung zeigt deutlich einen Knoten. Auch sie meint, dass ich unbesorgt bleiben könne, denn solche Knoten seien ganz typisch in der Schwangerschaft. Wir könnten ihn ja mal beobachten und sehen, wie er in 4 Wochen aussehe. Sie dreht sich plötzlich um und wieder zurück zu mir, so als hätte sie eine Eingebung oder was auch immer und meint dann, dass sie es doch für besser halte, eine Biopsie machen zu lassen und überweist mich ans Brustzentrum.

Eine Woche später findet also die Biopsie statt. Ich sitze mit meinem Mann im Wartezimmer und sehe mir die anderen Frauen an. Die meisten sind viel älter als ich. Weshalb sie wohl hier sind? Ist das vielleicht eine Perücke? Nein, sicher nicht, die sieht so gut frisiert aus. Alle sehen so nachdenklich aus. Mir ist mulmig. Ich habe plötzlich Angst. Ich gehöre nicht hierher. Was mache ich hier eigentlich?
Da ruft uns auch schon die Ärztin. Sie ist in meinem Alter, wirkt sympathisch, wir verstehen uns auf Anhieb.
Dann die Untersuchung, zunächst nur Ultraschall, man verzichtet auf eine Mammografie wegen der Belastung fürs Ungeborene. Dann die Biopsie, unendlich schmerzhaft trotz Betäubung und der Aussage, dass es kaum wehtue. Tut es doch, ich bin schwanger, meine Brüste stärker durchblutet und auf das Dreifache ihrer Normalgröße angeschwollen. Ich halte es irgendwie aus, denke ans Baby und die Kinder, starre einen Fleck an der Decke an . Wieder wird beschwichtigt, es sehe gut aus, typisch für Schwangerschaften und ich solle ein paar Tage später den Anruf der Ärztin erhalten, dass alles in Ordnung sei.
Ich bekomme noch einen Druckverband, die Brust ist überall blau und tut höllisch weh.

Das Telefon klingelt am Mittag, am Mittag des 19. Januar, die Telefonnummer ist mir unbekannt. Am Telefon ist die Empfangsdame des Brustzentrums, die mir sagt, sie müsse mich noch mal für einen Termin aufbieten, weil ja mein Ergebnis nicht gut sei. Wommmm. Ähm, wie, was, wie nicht gut sei ???
Nun ja, sie wisse auch nichts Näheres und dürfe auch keine Aussagen dazu machen, ich solle halt die Ärztin kontaktieren, um Details zu erfahren. Wie in Trance vereinbare ich einen Termin drei Tage später, wenn die Kinder in der Krippe sind.
Dann ist da nichts, nur Stille, mein Herz klopft in meinen Ohren. Dann Tränen, dann wieder Ruhe. Vielleicht heißt „nicht gut“ ja nur, dass die Gewebeprobe der Biopsie nicht verwertbar ist. So ein Quatsch. Nicht gut heißt, ich sterbe bald. Was mach ich jetzt? Vor zwei Wochen war die Welt doch noch in Ordnung. Die Kinder, das Baby, mein Mann ... ich drehe durch. Die Tränen laufen unaufhaltsam. Ich rufe meinen Mann an. Er ist in der Arbeit und sollte Mittagspause haben, Geburtstagsessen mit ein paar Kollegen, er geht nicht ans Telefon. Panik. Ich spreche auf die Combox und erzähle, was gerade passiert ist. Eine halbe Stunde probiere ich es immer wieder, zwischendurch versuche ich mich abzulenken, putze wie blöd die Küche immer wieder. Dann endlich der Rückruf, er komme sofort.
Endlich ist er da und er versucht, mich zu beruhigen, Gott sei Dank sind die Kinder in der Krippe. Die Zeit kommt mir wie Ballast vor, die Sekunden werden zu Stunden.
Mein Mann übernimmt, ich bin längst nicht mehr in der Lage. Er ruft abwechselnd mehrmals meine Gynäkologin an und im Brustzentrum. Niemand erreichbar, der Bescheid wüsste. Wir nerven mehrmals die Empfangsdame und machen klar, dass man uns nicht einfach so eine Information hinknallen könne, ohne Genaueres dazu zu sagen und uns aufzufangen. Nach drei bangen Stunden ruft endlich meine Gynäkologin zurück. Sie weint fast mit mir am Telefon und bestätigt meine Ahnung, Brustkrebs. Sie ist entsetzt, dass ich so davon erfahren habe.

Dann ruft auch das Brustzentrum an und wir bekommen einen Termin noch am selben Abend, nicht erst in drei Tagen. Schnell noch jemanden organisieren, der die Kinder aus der Krippe holt. Meine Zwillingsschwester anrufen und ihr sagen, was los ist, auch meinen Bruder, und natürlich meine Eltern. Alle sind geschockt und versuchen, mir Mut zu machen.
Am Abend dann das „Aufklärungsgespräch“: schnellstmöglich OP, weil der Tumor schnell wachse, dann möglichst schnell die Geburt, sobald die Frühgeburtsphase vorbei sei, um gleich mit der Chemo beginnen zu können. Mit diesen Erkenntnissen fahren wir nach Hause, das Geburtstagsessen fällt aus, uns würde jeder Bissen im Hals stecken bleiben.
Eine schwarze Wolke hängt nun über mir und so soll es erstmal bleiben.