Über mich

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Kanton Zürich, Switzerland
* geboren 1973 * glücklich verheiratet * Diagnose Brustkrebs vom Typ triple negativ im Alter von 38 J. * zum Zeitpunkt der Diagnose in der 33. Schwangerschaftswoche und Mutter eines 3 1/2-jährigen Sohnes und einer 2-jährigen Tochter

Bloggen - wozu?

Bloggen - wozu?

Nachdem ich die Hardcore-Therapie hinter mich gebracht habe, dient mir dieser Blog zum persönlichen Verarbeiten, vor allem auch rückblickend auf die einschneidendsten Erlebnisse. Darüber hinaus hoffe ich, Kontakt zu Leidensgefährtinnen zu knüpfen, die es da draußen in so erschreckend großer Zahl gibt. Und nicht zuletzt sind meine Blogeinträge auch für meine Familie und Freunde verfasst, die mich seit der Diagnose auffangen und mir tatkräftig zur Seite stehen. Der Blog ist leider nicht immer auf dem aktuellen Stand, ich arbeite aber im Rahmen meiner Möglichkeiten daran, das zu erreichen. Die Nummerierung der Titel entspricht der Chronologie der Geschehnisse. Hier könnt ihr lesen, wie sich im Januar 2011 mein Leben auf den Kopf gestellt hat.

Per E-Mail freue ich mich über Reaktionen, konstruktive Fehlermeldungen oder einfach einen lieben Gruß. Bitte hier klicken.

Das Neueste: ... es geht mir gut :-) und das auch dank eines weiteren Hakens auf meiner Bucket-List, mein eigener Hund bzw. Hündin, die mir seit einem halben Jahr so viel gibt und mich positiv fordert, erdet und mir hilft, wieder mehr (innere) Ruhe in mein Leben zu bringen.

40. Zeitreise


Etwa 100 Mädchen waren wir, unser Abiturjahrgang, lange ist es her..., um genau zu sein 20 Jahre. Ja, nur Mädchen. Für mich war es das erste Wiedersehen mit den Mädels von damals. Letztes Wochenende war es soweit, die Hälfte ist erschienen.
Es ist wie eine Zeitreise, eine Reise in diese unbeschwerte, von Freiheit und Träumen geprägte Lebensphase. Jeder Schritt durch das Schulhaus bringt neue Erinnerungen hervor, meist positive, ich bin immer gerne zur Schule gegangen. Die Schulzimmer riechen immer noch genauso, es scheint wohl zu stimmen, dass sich Gerüche besonders intensiv im Gedächtnis festsetzen.
Klar geht es in den Gesprächen um den Status Quo, „Was machst du denn so?“, „Kinder?“, „Wo lebst du?“ und so weiter und so weiter.
Der Abend ist lustig, es wird viel gequatscht, gelacht, gekichert. Ich fühle mich wohl. Und doch kann ich nicht verhehlen, dass ich auch nachdenkliche, traurige Momente habe. 100 Mädels.... hmmm... statistisch gesehen trifft es zehn von uns. Zehn von uns erhalten laut Statistik die Diagnose Brustkrebs.... früher oder später... theoretisch. Und dreißig bekommen Krebs, welcher Art auch immer. Ich sehe mich in der Runde um und mir wird einmal mehr bewusst, wie wenig selbstverständlich das Leben ist. Am liebsten würde ich auf den Tisch klettern und allen zurufen: „Geht regelmäßig zur Vorsorge, tastet euch ab, seid wachsam, je früher ihr dem Krebs die Stirn bietet, desto besser sind eure Chancen, heil aus der Sache herauszukommen.“
Aber ich bleibe sitzen. Ich genieße weiter meine Zeitreise, verderbe niemandem den Abend und hoffe, dass die Gegend vorwiegend gesunde Menschen hervorbringt, was natürlich Quatsch ist, aber wer kennt schon genau die ganzen Umstände, welche die einen vor Krebs bewahren und die anderen in einen Strudel aus Angst, Schmerzen und Sorgen werfen. 

39. Was ist schon sicher...


Der Countdown läuft, ... nur noch neunzehn, jaaaaaaa 19 läppische Tage, an denen ich meine Chemotabletten schlucke. Kein Methotrexat, kein Endoxan, morgens einfach wieder frühstücken ohne die Medi-Box hinter dem Teller – äh, lach ... die Box brauche ich gefüllt für die ganze Woche, da ich anfangs schon mal doppelt gemoppelt habe, weil ich nicht mehr wusste, ob ich nun schon... oder vielleicht doch oder die andere auch schon ... ohhhhh jeeee ... mein Spatzenhirn. Ich bin froh, dass es bald vorbei ist, empfinde es irgendwie als Befreiung. Das Jahr mit metronomischer Chemo ist rückblickend schnell vergangen, überhaupt die Zeit seit der Diagnose, die – ich kann es eigentlich kaum glauben– nun schon 18 Monate zurückliegt.
Es stand eine Weile zur Diskussion, die Einnahme zu verlängern, um meinem Sicherheitsbedürfnis entgegen zu kommen. Ein ausführliches Gespräch mit Onkol Doc gestern hat mich aber bestärkt, dass mal Schluss sein muss. Entweder haben die Tabletten geholfen oder eben nicht, daran ändern auch weitere Monate nichts. Die Gefahr einer Zweiterkrankung durch die Tabletteneinnahme (Leukämie zum Beispiel) erhöhe sich außerdem mit jedem Monat. Und die lästigen Nebenwirkungen will „frau“ auch nicht für alle Ewigkeit in Kauf nehmen, die verschwinden eh erst Monate nach der letzten Einnahme.
Zur Diskussion steht jetzt noch ein CT. Im Grunde wird es heutzutage gar nicht mehr gemacht, erst bei begründetem Verdacht auf Metastasen, aber ... na ja ... wie soll ich sagen, es wäre doch auch gut zu wissen, dass eben nichts ist. Die Seele spielt mir ja immer wieder Streiche, wenn es irgendwo ungewöhnlich schmerzt oder mir zwischendurch schwindelig ist. Seufz. Ganz so einfach ist das aber leider nicht.
Es gibt immerhin drei mögliche Ergebnisse, die so ein CT hervorbringen kann:
  1. keine Auffälligkeiten (wenig der Fall) >>> wäre befreiend für die nächsten Monate wenigstens
  2. kleine, undefinierbare Auffälligkeiten (häufig der Fall), die meist nichts bedeuten, aber dennoch in Einzelfällen was bedeuten können >>> viel Aufregung und Sorgen um vielleicht nichts, endlose Folgeuntersuchungen, Nachkontrollen alle paar Monate
  3.  Metastasen (möglich) >>> ändert nichts an der Prognose, „frau“ gilt dann einfach als unheilbar erkrankt, letzter Countdown sozusagen, Vorteil aber, dass Bianca sich „vorbereiten“ kann

Was also tun? CT ja oder nein? Wenn ich das doch bloß wüsste. Doc meint, ich solle es lassen, es ändere nichts, schaffe nur mehr Aufregung.
Also gehe ich mal in mich, Brainstorming à la Bianca. Wie ginge ich wohl mit jeder der drei Möglichkeiten um? Hmmm... alles reine Spekulation, aber ...
  • Möglichkeit 1: Es ist nichts zu sehen. Ich bin erleichtert, froh, beruhigt, weiß aber wohl, dass das kein Freiticket für die Zukunft ist.
  • Möglichkeit 2: Sie finden etwas, das man beobachten müsste. Mpfff. Nicht so gut. Auch wenn dann wahrscheinlich nichts wäre, es würde mich doch in einen Gefühlsstrudel voll Angst, Wut. Sorge werfen, den ich zwar jetzt auch immer wieder mal habe, aber nicht so begründet. Und, ich müsste wieder vermehrt zu Untersuchungen, auch nicht so prickelnd.
  • Möglichkeit 3: Nun ja, was soll ich dazu sagen. Schreikrampf. Mist. Ich will noch nicht sterben. Aber wenn’s denn so wäre, dass die blöden Dinger in mir werkeln, dann arrangiere ich mich wohl hoffentlich irgendwie und gestalte den verkürzten „Rest“ meines Lebens so, dass er für mich stimmt und dass er auch für meine Liebsten stimmt.

Eigentlich müsste ich jetzt sagen, quod erat demonstrandum, alles ganz logisch, ich darf kein CT machen, aber so einfach mache ich es mir nicht, erstmal in Ruhe darüber nachdenken und mit meinen engsten Vertrauten besprechen und abwägen.

38. Tipps und Ratschläge?


„Das wird schon gut, Brustkrebs ist heutzutage doch kein Problem mehr. Ich kenne da eine Frau, die es geschafft hat.“ Tief einatmen, Lippen zusammenkneifen, kurz die Augen schließen ... wie auffallend oft ich das oder so ähnliche Formulierungen doch zu hören bekomme - so auch vergangenes Wochenende wieder mal. Mpffff.... das sind dann die Momente, in denen ich eigentlich sagen sollte, dass es doch Quatsch ist, so etwas zu behaupten, ohne wirklich Ahnung zu haben. Aber was macht Bianca? Nett lächeln, nicken und vielleicht noch in ruhigem Ton sagen, dass es halt schon komplizierter sei, wenn man plötzlich selbst betroffen sei und Brustkrebs sowieso nicht gleich Brustkrebs sei und auch jede Frau andere Voraussetzungen habe, da gebe es doch relevante Unterschiede, das Alter, die Lebensumstände, den Tumortyp, das Grading und vieles mehr. Aber ja, natürlich würde ich alles tun, um es auch zu „schaffen“ und auf der positiven Seite der Statistik zu stehen.
Hinterher ärgere ich mich dann über meine Political Correctness. Aber so bin ich eben, ich vermeide direkte Konfrontation, tut mir nicht gut, schreibe meine Gedanken lieber auf, teile sie auf diesem Weg mit und verarbeite sie so für mich.
Ich weiß ja, dass es nicht so einfach ist für viele „Nicht-Betroffene“, passende Worte zu finden und im Grunde ist es auch nur gut gemeint. Aber ich fühle mich bei solchen Pauschalaussagen nicht ernst genommen, fast ein wenig als Hypochonder abgestempelt, der sich das Ganze nur einbildet und nicht so ein Tamtam veranstalten sollte, so als hätte ich nur mal eben Schnupfen. Nun ja, irgendwie kann ich es meinen Mitmenschen dann aber doch nicht verübeln, die Medien und auch die ärztlichen Statistiken beschönigen enorm. So habe ich vor Kurzem erst von ärztlicher Seite erklärt bekommen, dass „Überleben“ in den Brustkrebsstatistiken nur bedeutet, dass eine Erkrankte (oder ein Erkrankter) nach 5 Jahren noch am Leben ist. Diejenigen, die der Brustkrebs danach hinwegrafft, fallen aus den Statistiken heraus. Ufff, für wen die wohl geschönt werden? Für die Pharmaindustrie? Warum macht man keine Langzeiterhebung? Metastasen tauchen häufig erst Jahre nach dem Primärtumor auf. Es ist leider nach wie vor so, trotz all der Forschungserfolge, dass Brustkrebs die mit Abstand häufigste Todesursache bei Krebserkrankungen von Frauen ist. Mir als Betroffene und Informierte ist das bewusst, vielen meiner Mitmenschen nicht, darum stellen sich mir ja auch die Nackenhaare auf, wenn ich mal wieder ein aufmunterndes Schulterklopfen bekomme mit Worten wie „Kopf hoch, das wird schon, eine Arbeitskollegin hatte vor ein paar Jahren auch Brustkrebs und sie ist geheilt.“ Da wünschte ich mir mehr Feingefühl. Aber es bringt mich auch irgendwie zum Schmunzeln ... wie gut, dass ich kein zartes Pflänzchen bin und einiges aushalte.

Ein weiteres Ärgernis, wenn auch nur ein winziges, sind für mich Tipps und Ratschläge ... ungefragt..., wie ich nun leben sollte, was ich ändern sollte, was man noch alles tun kann, um den Krebs zu besiegen, was der krebskranke Nachbar immer getrunken habe und wie gut es ihm heute gehe, ich solle mir das Zeug doch gleich besorgen und so weiter. Auf Tipps reagiere ich aber mittlerweile leicht allergisch. Das Problem ist, dass ich mehr als gut informiert bin, ich habe mich mit meiner Erkrankung eingehend auseinander gesetzt, Patientenkompetenz nennt man das heutzutage. Zwangsläufig habe ich auch eigene Erfahrungen gesammelt, habe darüber hinaus viele Frauen während und nach der Chemo und anderen Therapien kennen gelernt. Eine Erkenntnis gewinnt „frau“ da sehr schnell: Keine Diagnose ist gleich, keine Therapie ist gleich, keine Reaktion auf die Therapien ist gleich, keine Prognose ist gleich, kurzum .... wir sind und bleiben Individuen, ... auch wenn uns eins verbindet, ... die Diagnose Brustkrebs.

Ich möchte genau deshalb explizit keine Tipps in Bezug auf den Umgang mit Brustkrebs geben. Das entspricht nicht meinem Naturell. Meine Erfahrungen und was mir gut getan hat oder noch gut tut, all das muss nicht für andere gelten. Ich möchte meine Blogposts nicht als Ratgeber verstanden wissen. Ratschläge zum Thema Brustkrebs geben private, staatliche, institutionelle und kommerzielle Websites, Bücher, Heiler, Gurus, Zeitschriften usw. mehr als genug, manche kompetent und hilfreich, manche verunsichernd, manche in meinen Augen kriminell. Wenn mich jemand explizit um Rat fragt, dann erzähle ich von meinen Erfahrungen, was mir geholfen hat, mache auch gerne Vorschläge, aber ich maße mir nicht an, das Patentrezept gefunden zu haben.

Noch heute schüttle ich den Kopf über ein Buch*, das ich letztes Jahr gelesen habe, den Erfahrungsbericht einer Frau, die auch mit der Diagnose Brustkrebs konfrontiert wurde – wie ich als Mutter von drei kleinen Kindern. Sie hat sogar Preise dafür gewonnen. Ich erhoffte mir irgendwie Kraft aus diesem Buch, erkannte ich doch einige Parallelen. Leider, obwohl die Autorin den Krebs überwunden zu haben scheint (sie erkrankte vor 15 Jahren), kann ich mich mit ihrer Art, zu schreiben, nicht anfreunden, denn sie wirkt belehrend, gibt vor positiv ans Leben zu glauben, obwohl sie auffallend viele negative Erfahrungen beschreibt, mit Ärzten und Pflegenden zum Beispiel, die in dieser Häufung gar an den Haaren herbeigezogen erscheinen. Ihr Weg ist nicht mein Weg, denn sie betont mehrfach, dass jede, die an Brustkrebs stirbt, im Grunde selber schuld ist, weil sie nicht ans Leben geglaubt hat. Sehr, sehr einfach ... zu einfach und eindimensional aus meiner Sicht, die Erklärungen und Tipps der Frau Annette Rexrodt von Fircks. Ihre Lebensumstände sind dann doch auch nicht meine Lebensumstände (scheinbar Kinderfrau, Haushälterin) und ihre Tipps erscheinen mir zu platt, zu offensichtlich (so von wegen gesund ernähren, an der frischen Luft bewegen und so).
Aber dazu sei gesagt, dass das Buch halt eben für mich nicht stimmt, für andere wohl schon, sonst wären ihre Erfahrungsberichte nicht so erfolgreich.
In diesem Sinne gehe ich ihn weiter .... MEINEN WEG .... so wie Tausende von an Krebs Erkrankten da draußen ihren eigenen Weg gehen .... und keine(r) von uns ist schuld, wenn es nicht so ausgeht, wie wir uns das erhoffen und wünschen.


*Annette Rexrodt von Fircks:  ...und flüstere mir vom Leben. Wie ich den Krebs überwand. Ullstein Taschenbuch

37. Sommer, Sonne, Schmerzgrenze


Eine meiner 3-monatlichen Nachkontrollen bei der Senologin ist wieder abgehakt. Sie ergibt, dass sich in Brust und Achseln nichts Auffälliges tut. Merkwürdig ist, dass mich Kontrollen der Brust gar nicht mehr so beunruhigen. Ich gehe hin, als wäre es eine Kontrolle bei Zahnarzt oder Augenarzt. Seltsam, nicht? Meine Erwartungshaltung hat sich in den vergangenen Monaten verändert. Irgendwie weiß ich, dass ein neuer Befund in der Brust nur bedeuten würde, dass alles wieder von vorne anfängt. Eine weitere Chemo wäre zwar wahrlich nicht erstrebenswert, aber machbar, denn es heißt nicht, dass Metastasen in mir werkeln. Und vor denen habe ich die große Angst. Beunruhigt bin ich demnach eher, wenn ich wieder mal irgendwo anders im Körper etwas spüre oder glaube zu spüren und dann auf die Termine beim Onkologen warte.
Bei der Nachkontrolle sind auch die Schmerzen in der operierten Brust und in der Achsel erneut Thema. Frau Dr. H. vermittelt mir Zuversicht, dass auch diese Schmerzen weniger würden, wenn meine metronomische Chemo zu Ende sei. Das Operationsgebiet reagiere nach wie vor auf die Bestrahlung und die Zytostatika würden das noch verstärken.
Sommer und Sonne sind jedoch gute Helfer. Ich fühle mich insgesamt viel fitter als noch vor Wochen. Selbst eine Fahrradtour wäre da undenkbar gewesen. Am Pfingstwochenende habe ich dann 25 km geschafft, nicht wirklich ultimativ viel, aber für mich nach all dem Erlebten doch ein Meilenstein. Meine zurückgewonnene Fitness verleitet mich dann auch dazu, die Schmerzen zu ignorieren oder anders gesagt, meine eigene Schmerzgrenze zu überwinden. Das Okay der Ärzte habe ich und so beiße ich bei vielen Aktivitäten - allen voran in der Physiotherapie und im Pilates-Kurs - auf die Zähne und auch wenn da immer wieder ein Tränchen ins Auge schießt und so darauf hinweist, dass es höllisch weh tut, dann führe ich mir vor Augen, dass ich nur so letztlich dauerhaft schmerzfrei werde ... so wie Oma Schmidt :-)

Oma Schmidt hat Schmerzen im Knie. Sie geht zum Arzt, der verschreibt ihr eine Salbe zum Einreiben und verbietet ihr für drei Monate das Treppensteigen. Nach drei Monaten ist die alte Dame wieder beim Arzt. Die Schmerzen sind weg. "Sie sind wieder gesund", sagt der Arzt. "Heißt das, dass ich wieder Treppen steigen darf?"
 "Natürlich", meint der Doktor.
"Da bin ich aber froh", seufzt Oma Schmidt. "Wissen sie, Herr Doktor, das war ganz schön anstrengend: Immer den Blitzableiter hoch und beim Fenster reinklettern!"  

36. Lachen UND Weinen

Ostern ... in ein paar Tagen ... da sollte ich mich doch freuen auf das Ostereierfärben und das Verstecken und Suchen mit den Kindern ... aber Ostern ist nicht mehr das, was es noch im letzten Jahr war ... die Osternester suchen wir dieses Jahr zum ersten Mal nicht im Garten meiner Eltern, sondern bei uns im Garten. Und vieles wird fehlen, ... allem voran natürlich sie, ... meine Mama, die Oma meiner Kinder, ... auch ihre Osternestli für alle Familienmitglieder. Ich vermisse sie und all das schon in den Tagen vor dem Fest schrecklich. Zu Ostern letztes Jahr habe ich sie das letzte Mal im Arm gehalten. Die ganze Familie kam zusammen, drei Kinder, sechs Enkelkinder, Lebenspartner, wir alle lachten in der Sonne am kleinen Gartenteich meiner Eltern. Ich steckte mitten in der Chemotherapie und sie verdrückte immer wieder eine Träne wegen mir ... aus tiefer Sorge um mich und in der Hoffnung, dass ich es nicht sehen würde. Gerade, wenn solche Familienfeste vor der Tür stehen, und dieses ganz besonders, dann werde ich noch dünnhäutiger, als ich es seit den ganzen Therapien eh schon bin. Das alles hat mich verändert, ich bin auf eine Art stärker, reifer geworden, aber auf eine andere Art schwächer, verletzlicher, auch wenn ich inzwischen dem Leben wieder lachend und fröhlich begegne, so glaube ich wenigstens (äh... andere nicht immer, wie ihr nachher lesen könnt).
Mama sollte jetzt hier sein und sehen, wie fit ich äußerlich wieder aussehe und dass ich alles daran setze, gesund zu werden und auch zu bleiben ... nur nicht klein beigeben. Ich arbeite wieder in dem Umfang wie vor meiner Diagnose. Es ist zugegebenermaßen viel anstrengender als vorher, aber irgendwann werde ich auch da wieder voll auf Kurs sein. Hmmm.... ich habe mich doch mittlerweile gut mit den anhaltend nervigen, aber nicht bedrohlichen Nebenwirkungen der Medikamente und Nachwirkungen der OP und Bestrahlung arrangiert. Und da gibts nur noch einige.
Die dünne, sensorisch gestörte Haut vor allem an den Fingern, daran habe ich mich gewöhnt ... irgendwie. Gegen die Schmerzen im OP-Gewebe und die damit verbundenen Bewegungseinschränkungen unterstützen mich aktuell Physiotherapie und neuerdings Pilates - ächz -, so dass ich vielleicht sogar irgendwann wieder die alte oder gar eine erneuerte Bianca bin.
Dann wäre da ja noch das nach wie vor geschwächte Immunsystem, das in Kombination mit den extrem trockenen Schleimhäuten und der Dauererschöpfung fiesen kleinen Krankheitserregern in den vergangenen Monaten regelmäßig die Tür geöffnet hat. Das versuche ich mit einem Abkommen hinzuhalten, so nach dem Motto, bald ist Sommer und da werde ich einfach nicht mehr dauernd kränkeln und außerdem habe ich in ein paar Monaten mein metronomisches Chemojahr durch und muss keine Tabletten mehr schlucken. Das Immunsystem soll sich schon mal auf andere Zeiten gefasst machen.
„Äh... grübel, grübel und studier, was wollte ich denn nun von dir? Tsss ... weshalb bin ich in den Keller gegangen? Hmmm ... ist ja schön hier unten, nun denn, wer braucht schon einen Grund?“ Zerstreutheit und Gedächtnislücken, lach, oh oh, bringen mein Umfeld, vor allem meinen Mann, hin und wieder an den Rand des Wahnsinns. Ok, ich gebs ja zu, mich auch oft genug. Ahhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhh..........
Und dann zeigen sich noch so ein paar Nebenwirkungen, die man wohl landläufig Wechseljahrsbeschwerden nennt, unbändige Hitzewallungen zum Beispiel, 24 Stunden Tag und Nacht, egal wo. Noch nehme ich die mit Humor und wenn man mich mit einem Teller oder sonst einem zweckentfremdeten Objekt wedeln sieht, dann ist das kein Grund zur Beunruhigung ... pffff... ich bin dann nur mal wieder dabei, einen meiner vielen inneren Vulkanausbrüche zu kühlen ... mit „allen“ greifbaren Mitteln.
Gestern hat mir eine Freundin gesagt, ich gefalle ihr nicht, ich lache nicht mehr so wie früher, was ich natürlich prompt schmunzelnd verneint habe, aber ein bisschen hat sie dann doch Recht. Ich bin zwar in so mancher Hinsicht bewusster, fröhlicher und vor allem dankbarer geworden, aber auch enorm viel nachdenklicher und ernster, einfach nicht mehr so unbekümmert wie früher. Ist das nicht „normal“ auf meinem Weg?
Aber eins ist sicher ... nebst Tränen, denen ich ihre Daseinsberechtigung bewusst einräume, hat auch Lachen ausreichend Platz in meinem Leben.

In diesem Sinne ... FROHE OSTERN  (anklicken) ... Und nicht vergessen, wo ... äh... ob die Schoggi versteckt ist :-)



35. Puuuhhhhh

... in mehrfachem Sinn... puuhhh.
Tieeeeeeef durchatmen.... Die heutige Mammographie und der Ultraschall haben nichts Auffälliges hervorgebracht. Vor jeder Nachkontrolle bin ich hibbelig und aufgeregt, so auch die letzten Tage. Wenigstens lässt sich aktuell ausschließen, dass ich einen Rückfall in der Brust, ein Rezidiv, habe.
Schmerzen in der Brust habe ich dennoch. Die ließen sich mit Nachwirkungen der Bestrahlung, mit meiner vorgezogenen „Menopause“ (schwitz und noch mal schwitz), mit den nach wie vor reaktiven Lymphknoten und mit meinem nicht mehr so ganz funktionierenden Port-a-Cath erklären. Seufz, hoffentlich kommt die Erklärung auch noch in meinem Herzen und vor allem in meinem Kopf an. Leider schmerzt ja auch seit Wochen der gesamte  Brustkorb rundum, ... dafür bekomme ich nun aber Physiotherapie. Und meine schmerzenden Knie werden durch das tägliche Vitamin D, das ich seit einer Woche nehmen muss, hoffentlich auch bald Vergangenheit sein. Knochenszinti und Röntgen haben wir zunächst aufgeschoben, zu viel Diagnostik macht mich nur noch mehr verrückt. Ich bekomme keine Metastasen. PUNKT. Nein. Sicher nicht. Basta.
Wie hat mir Dr. B. doch letzte Woche versichert? Er werde dafür sorgen, dass ich mit ihm in zehn Jahren bei einer Tasse Kaffee lächelnd zurückblicken kann und sagen werde, die Therapie sei goldrichtig gewesen. Na ja, vielleicht wird aus dem Kaffee dann ja noch Champagner zur Feier meines zehnjährigen Überlebens (so nennt man das wohl tatsächlich bei Krebserkrankungen).
Puuhh auch deshalb: Lina ist vergangenes Wochenende ein Jahr alt geworden. Es kommt mir vor wie gestern, die Diagnose, die OP und dann ihre unvergessliche Geburt. Vor einem Jahr habe ich mir größte Sorgen gemacht, ob ich ihren ersten Geburtstag miterleben darf. JA, ich darf. Und ich bin unendlich dankbar dafür. Happy Birthday, mein kleiner Sonnenschein.
Noch mehr puuuhh? Mhm ... die Zeit der Krankschreibung neigt sich dem Ende zu. Ich will nicht mehr "krank" sein, also gehe ich ab 1. März 2012 wieder meine 50% arbeiten, Erschöpfung hin oder her, wie ich es vor meiner Erkrankung auch getan habe. Das Trackpad am Laptop muss ich halt austricksen, wie ich es jetzt schon immer wieder machen muss, wenn es mal wieder nicht auf meine "abgehobelten", dünnhäutigen Fingerspitzen reagieren will ;-) Back to normal ... vordergründig... auch wenn noch lange nichts normal sein wird ... in meinem Herzen. 

34. "Happy" Birthday

Ein mulmiges Gefühl beschleicht mich, … genau ein Jahr ist es nun her und doch fühlt es sich manchmal an, als wäre es gestern gewesen. Der 19. Januar 2011 hat mein Leben auf den Kopf gestellt, mein Vertrauen in mich, mein Leben, mein Glück in den Grundfesten erschüttert. Aber ich hab's geschafft, ein ganzes Lebensjahr voll neuer Erfahrungen und reich an Liebe erfahren dürfen. Jedes weitere Jahr, das mir die Zukunft schenkt, wird ein besonderes Jahr sein. Ich feiere also am 19. Januar 2012 nicht nur den einundvierzigsten Geburtstag meines Mannes, sondern darüber hinaus auch meinen eigenen, meinen "ersten Geburtstag". Dieses Datum wird mich und meinen Mann für alle Zeiten verbinden.
Jahr 1 war definitiv ein hartes Jahr, ich hatte oft Angst, fühlte mich oft einsam, denn auch wenn man von seinen Liebsten aufgefangen wird, so ist man mit dem ungebetenen Gast im Innersten und den Schmerzen doch alleine. Schwäche macht zusätzlich einsam und schwach war ich oft in diesen zwölf Monaten.
Jahr 1 hat mir Erfahrungen beschert, auf die ich hätte verzichten können. Ich weiß nun, wie es sich anfühlt, die Haare zu verlieren, wie es sich anfühlt, unter Schmerzen den Alltag bewältigen zu müssen, wie es sich anfühlt, die eigene Leistungsfähigkeit schwinden zu sehen, ich weiß nun, wie sich das eigene Spiegelbild nach Operation, Chemotherapie, Kortison, Bestrahlung verändert und das Selbstbewusstsein erschüttert. Ich weiß, wie schwer es manchmal fällt, auf Hilfe und Unterstützung angewiesen zu sein.
Jahr 1 war auch das traurigste Jahr meines bisherigen Lebens, ich bin auf schmerzhafte Art endgültig "erwachsen" geworden. Es stimmt tatsächlich, was landläufig gesagt wird: Erst mit dem Verlust der eigenen Mutter geht die Kindheit wirklich zu Ende.
Jahr 1 war dennoch ein Jahr voll Glück. Lina wurde geboren und schenkt mir mit ihrer sonnigen Art viel Freude. Annika und Yannick haben mir mit ihrer Liebe und ihrem Urvertrauen ins Leben viel Kraft gegeben. Die Liebe zu meinem Mann hat die vielen Bewährungsproben dieses Jahres überstanden. Das Jahr hat mir auch viele Menschen geschenkt, die für mich und meine Familie da waren, die uns mit getragen haben und das auch weiterhin tun.
Jahr 1 hat mir des Weiteren gezeigt, wie viel ich ertragen kann, wie viel ich leisten kann, wie stark ich doch auch bin. Das Attribut "kämpferisch" liegt mir auf der Zunge, aber sinnvoller finde ich "offensiv".

Wo stehe ich heute, nach exakt einem Jahr mit der Diagnose Brustkrebs? 
Hmmm… es fällt mir zugegebenermaßen schwer, in diesem Punkt völlig ehrlich zu mir selbst zu sein.
Körperlich geht es mir immer besser, wobei auch Rückschritte zu verzeichnen sind. Ich sehe äußerlich um einiges gesünder aus als noch vor drei Monaten. Dafür tauchen Schmerzen auf, wohl ausgelöst durch die Bestrahlung, die mich immer wieder verunsichern. Auch meine Gelenke und generell mein Immunsystem machen mir Sorgen und lassen immer wieder leider auch negative Gedanken aufkommen. Ich hoffe einfach, dass die Beschwerden "nur" durch die Chemotabletten und Infusionen verursacht werden, mit denen ich nach wie vor therapiert werde.
Ich weiß, dass 2012 ein ganz entscheidendes Jahr für mich sein wird, denn bei triple negativem Brustkrebs tauchen Metastasen gemäß meinem Wissensstand häufig schneller auf als bei anderen Brustkrebstypen und sind dann leider auch in einem kleineren Zeitfenster ultimativer. Ich geb's zu, ich würde gerne, schaffe es aber nicht konsequent, an das Gute zu glauben. Eine gewisse Grundangst ist zu meinem täglichen Begleiter geworden. Zu schaffen macht mir tagtäglich, dass meine Konzentrationsfähigkeit und auch mein Gedächtnis noch immer weit von der alten Form entfernt sind.... hmmm... für eine Perfektionistin im Grunde ein schwer zu akzeptierender Zustand. Ich muss schmunzeln, denn das Jahr hat mich definitiv auch gelehrt, meinen inzwischen nicht mehr so perfekten Perfektionismus mit Humor zu betrachten. 
Positiv stimmt mich - ich muss gerade lachen, während ich das schreibe -, dass ich endlich ein paar Kilos verloren habe und meine Klamotten fast alle wieder passen. Während der Chemo hielt sich mein BMI bedingt durch Kortison und nach der Geburt von Lina doch eher im oberen, noch akzeptablen Bereich. Es ist ein Irrtum zu meinen, man nehme während einer Chemotherapie ab bis auf die Knochen, das gibt es sicher auch, aber ich habe nur Frauen kennen gelernt, die das Kortison trotz fehlendem Geschmackssinn zu Heißhungerattacken getrieben hat.
Meine Kinder sind mir die größte Motivation, nach vorne und nicht zurück zu blicken. Die drei kosten viel Energie, geben aber im Gegenzug auch mindestens das Doppelte an Freude zurück. Ich frage mich manchmal, wie ich das Jahr ohne sie gemeistert hätte…., ziemlich sicher nicht so gut, denn Kinderlachen ist die beste Medizin.


33. Dann mal los ... ab ins 2012

Vier Tage des neuen Jahres sind bereits verstrichen. Den Jahreswechsel habe ich doch glatt verschlafen. Fünf vor zwölf ließen sich meine Augen wohl nicht mehr dazu bewegen, noch etwas offen zu bleiben. Das war so nicht gewollt. Arrrgggll. Ärgerlich. Die Chemo-Tabletten und meine sonstigen Medikamente sorgen nach wie vor jeden Abend dafür, dass mir die Augen unfreiwillig zufallen ... früher oder später. Da Annika bedingt durch ihre Windpocken extrem unruhig ist, sorgt auch sie noch für schlaflose Nächte. Nun, irgendwann holt ihn sich der Körper dann eben, den überfälligen Erholungsschlaf, ... ohne Rücksicht auf etwaige Feste oder Feuerwerke oder gefüllte Sektgläser zum Anstoßen. Ein – bedingt durch Sentimentalitäten an Weihnachten und Silvester – sorgenvoller Blick in die Zukunft  und im Vergleich zu den vergangenen Monaten wieder einmal wesentlich mehr Tränen drücken meinen Energielevel zusätzlich, was sich dann wiederum auf meine Abwehrkräfte auswirkt.
Dauermüde bin nämlich nicht nur ich, sondern offensichtlich auch immer noch mein Immunsystem. Kaum habe ich mal für ein paar kurze Tage Viren, Bakterien und sonstigen gesundheitlichen Gefahren die Stirn geboten, da erwischt mich schon wieder was. Nach der langwierigen Erkältung mit Lungenentzündung war ich nur einige Tage mit Gesundheit gesegnet.
Diesmal bleibt mir die Stimme weg. Seit gestern bringe ich keinen Ton mehr heraus, nur kaum hörbares, kratziges Wispern ermöglicht mir noch ein absolutes Minimum an Konversation. An Telefonieren oder auch nur eine banale Bestellung beim Bäcker ist nicht zu denken. Darüber hinaus manifestiert sich erneut eine Erkältung. All das war früher nie ein Thema für mich, ich war die letzten dreißig Jahre kaum krank. Mein „Untermieter“ hat eindeutig für Unruhe bei meinen Abwehrzellen gesorgt, meine tägliche Dosis Zytostatika tut ihr Übriges. Und gegen die Erschöpfung komme ich irgendwie nicht an... 
Ein Kommentar, den ich heute zu meinem „Alle Jahre wieder“ - Blogpost erhalten habe, trifft es sehr gut. Caro schreibt mir da:

Aber wenn ich Ihnen noch etwas sagen darf: Sie haben wirklich, wirklich ein annus horibilis hinter sich - ein Neugeborenes, kleine Kinder, der Tod Ihrer sehr geliebten Mutter und diese Diagnose: es gibt Menschen, die daran zerbrechen. Sie sind, ein Jahr später, auf einem wunderbaren Weg. Darf ich Ihnen sagen, dass Sie vielleicht versuchen sollten, nicht in die Falle zu tapsen, in der wir Frauen oft sind? Dieses sofort wieder für alle und alles zuständig sein, die Krankheit als vage Bestrafung für eine nicht bestandene Aufgabe zu nehmen, zuviel auf einmal zu wollen etc. Ich glaube, Sie wissen, was ich meine und hoffe sehr, Sie verzeihen meine Belehrungen - wie Sie sich denken können, kenne ich das alles nur zu gut.

Als Belehrung empfinde ich es gar nicht. Danke, Caro, für Ihren Kommentar. Er zeigt mir auf, was ich im Grunde schon weiß, nur ... hmm, „wissen“ und „machen“ sind zwei verschiedene, wenn nicht gar konträre Sachen. Es war tatsächlich das schlimmste Jahr meines bisherigen Lebens und ob ich daran zerbreche, das wird erst die Zukunft wirklich zeigen. Bisher habe ich versucht, immer alles zu geben. Aber gerade deshalb, ... in die Falle getapst, das bin ich längst, besser gesagt, ich bin wohl nie aus der „Falle“ herausgekommen. Drei kleine Kinder mit all ihren Bedürfnissen, ich mit meinen hohen Erwartungen an mich selbst, ein Stück weit auch die hohen Erwartungen meines direkten Umfelds, enorm viele unüberschaubare bürokratische Hürden, die einem die schnelle Rückkehr in unsere Leistungsgesellschaft nahe legen, ein Gesundheitssystem, das Rehabilitation für solche Fälle nicht vorsieht, und letztlich der ganz normale „Alltagswahnsinn“ eines Fünf-Kopf-Haushalts, all das baut einen enormen Druck auf, dem ich mich schlicht nicht entziehen konnte und kann, nicht einmal während der Hardcore-Phasen der Chemotherapie. Wie oft habe ich in den vergangenen Wochen gesagt: „Ich wünschte mir ganz tief drinnen, ich könnte jetzt einfach für ein paar Wochen alles stehen und liegen lassen und ganz alleine irgendwohin gehen, wo ich zur Ruhe komme, wo ich Kraft tanken kann, wo man sich vielleicht auch intensiv um meine Seele kümmert.“ Mhm ... das Leben ist leider kein Zuckerschlecken, es geht nicht, ist hier nicht möglich, es sei denn, man finanziert sich einen Aufenthalt in einem Rehabilitationszentrum selbst. Ach, und nicht zu vergessen die Betreuung der Kinder während dieser Auszeit. Für eine fünfköpfige Mittelstandsfamilie ist das aber schlichtweg nicht machbar. Ich sollte nicht jammern, das möchte ich eigentlich auch gar nicht. Ich bin froh, hier in der Schweiz zu leben, einem Land mit extrem hohen medizinischen Standards.
Was mache ich also? Ich starte einen zweimonatigen Arbeitsversuch. Die Krankentaggeldversicherung ermöglicht mir einen sanften Wiedereinstieg in meinen Job. Ich bleibe nach wie vor krankgeschrieben, kann jedoch nach meinem Empfinden in Absprache mit meinem Arbeitgeber so viel oder auch so wenig arbeiten gehen, wie ich für tragbar halte. Ich bin froh, dass ich ohne Druck den Weg zurück finden kann.
Ohne Stimme und etwas nervös gehe ich heute Morgen zum Bus, der mich zur S-Bahn bringt. Ich will die ersten paar Stunden „Arbeit“ wagen. Es ist ein komisches Gefühl, zurückzukehren. Die letzten Meter des Weges vom Hauptbahnhof zur Schule werde ich langsamer, am liebsten würde ich umdrehen. Es steigt Angst auf, die Angst, dass ich mich nicht mehr zurechtfinde, die Sorge, dass sich meine aktuelle Unkonzentriertheit, meine Müdigkeit, meine Zerstreutheit negativ auf meine Arbeit auswirken. Ich sollte mir keinen Druck machen, ich bin in der luxuriösen Situation, mindestens zwei Monate Zeit zu haben, um zusammen mit meinem Onkologen zu entscheiden, ob ich wieder voll einsatzfähig bin oder nicht.
Das sei noch erwähnt: Mein Wiedereinstieg heute verlief ganz gut, selbst mein Schreibtisch hat sich kaum verändert. Die wenigen Kollegen, die während der Schulferien da sind, haben mir einen warmen, herzlichen Empfang bereitet und auf dem Regal über dem Schreibtisch steht noch immer meine Kaffeetasse, ... als wäre ich nie weg gewesen.


Mein Dream-Team und ich im Dezember 2011

32. Alle Jahre wieder?

Alle Jahre wieder? Nein, dieses Jahr fühlt es sich anders an.
Der gestrige Heilige Abend und der heutige Weihnachtstag ... wunderschön und so, wie ich ihn mir im Grunde wünsche, ihn nur selten so erleben konnte ... ohne den übermäßigen Geschenke-Wahnsinn vergangener Jahre, ohne Trubel und Stress, einfach nur ruhig und besinnlich, bewusste Zeit mit den Kindern und meinem Mann.
Es fühlt sich aber noch aus anderen Gründen anders an als in den Jahren zuvor. Zwischen all die Liebe, Nähe, Wärme, die ich dieses Jahr bewusster wahrnehme und bewusster zu geben versuche, zwischen all diese schönen Gefühle drängt sich auch Schwermut. Es ist rückblickend ein von Schock, Angst, Trauer, Schmerzen, Sorgen geprägtes 2011, an dem ich sicher reife, aber zu welchem Preis ...
Was bringt 2012? Was bringen die weiteren Jahre? Wie viele werden es sein? Wie viel Schmerz wird in den kommenden Jahren auf meine Lieben und mich warten?

„Frohe Festtage und ein gutes neues Jahr“ höre ich wie jedes Jahr von allen Seiten, auch ich wünsche das meinen Mitmenschen von Herzen. Ich möchte so sehr daran glauben, dass 2012 ein gutes Jahr wird,
... dass alle in meinem Umfeld gesund und glücklich bleiben oder werden,
... dass alle Krebszellen aus meinem Körper verschwinden,
... dass keine Metastasen auftauchen,
... dass mein Immunsystem endlich wieder ein normales Level erreicht,
... dass auch mein Energielevel wieder in Normalbereiche kommt,
... dass die genetische Beratung in einigen Wochen ergibt, dass operative Vorsorgemaßnahmen keinen Sinn machen,
... dass ich in doppeltem Sinn wieder dickhäutiger* werde,
... dass ich meine Intuition zurückgewinne und nicht jeden Schmerz mit dem Gedanken an Metastasen verknüpfe,
... dass ich in alter Stärke an meinen Arbeitsplatz zurückkehren kann,
... dass die Trauer um meine geliebte Mutter mich weniger lähmt,
... dass ich wieder erholsam schlafen kann und die großen Sorgen verschwinden,
... dass mich Liebe, Harmonie und Vertrauen durch das Jahr tragen.

Aber klar, die Welt ist keine heile Welt, darum ist nicht mit der Erfüllung meiner Wünsche zu rechnen. Es wäre auch zu schön, um wahr zu sein.

* Die Chemoinfusionen im Frühjahr/Sommer und die Chemotabletten, die ich noch täglich nehme, haben meine Haut vor allem an den Fingerkuppen extrem dünn und empfindlich werden lassen. Und ich bin seit der Diagnose übersensibel, extrem „nah am Wasser gebaut“ und emotional weniger belastbar. 




   



31. Nichts

Was könnte da los sein, wenn der eigene Mann mit dem Telefon in der Hand breit grinsend ins Kinderzimmer kommt? Mhm ... eine Bianca, die gerade dabei ist, einen Babypo zu säubern und Lina eine frische Windel anzuziehen, die weiß es erstmal auch nicht. „Vielen Dank für den Anruf!“, höre ich ihn sagen. Dann ist es wieder da, ... das breiteste Grinsen aller Zeiten. Also, ... Männer haben manchmal wirklich eine seltsame Art, sich mitzuteilen. Ich weiß ja, Frauen von der Venus und Männer vom Mars und so, aber dennoch...
Er, lässig an den Türrahmen gelehnt: „Das war Frau Doktor H.“ ... Stille
Ich nach einer Weile: „Ja?“
Er: „Das Ergebnis vom Brust-MRI ist da.“
Ich ungeduldig werdend: „Ja und? Was hat sie gesagt?“
Er: „Nichts.“
Ich: „Wie, nichts? Sie wird doch was gesagt haben. Jetzt sag schon, was los ist? Ist kein Spiel hier, es geht um was Ernstes!“
Er: „Ja, eben nichts, es ist nichts, alles in Ordnung!“ Wieder das Grinsen.
Und da beschweren sich Männer, dass  F r a u e n  indirekt kommunizieren ... tssss...

30. Ein Aufruf zu Weihnachten


„Wir neigen dazu, Erfolg eher nach der Höhe unserer Gehälter
oder nach der Größe unserer Autos zu bestimmen
als nach dem Grad unserer Hilfsbereitschaft und dem Maß unserer Menschlichkeit.“
(Martin Luther King)


Eine Organisation, der ich zutiefst zu Dank verpflichtet bin, ist Onko Family Care. Ich glaube, sagen zu können, dass es die einzige Institution ist, die von Krebs betroffenen Familien mit Kindern tatsächlich unbürokratisch hilft. Kein Papierkram, keine Anträge, kein Einreichen der Steuererklärung, einfach nur Verständnis für die Bedürfnisse einer Familie, die von Krebs betroffen ist und nicht auch noch die Kraft für aufwendige Formalitäten und Gesuche hat. Eine Mail oder ein Anruf genügen und schon ist Frau Külling, die Gründerin, zur Stelle. Im Mai, als ich noch voll im „Chemorausch“ steckte, habe ich sie das erste Mal getroffen. Es war eine Zeit, in der ich immer wieder Mühe hatte, Betreuung für die Kinder zu finden, wenn ich zu Untersuchungen oder zur Chemo musste, und deshalb manchmal ganz schön am Anschlag war. Sie hat mir dann Andrea vermittelt, die einmal in der Woche für ein paar Stunden kam und für uns alle da war, die Kinder beschäftigte, beaufsichtigte und ein offenes Ohr für meine Nöte hatte.
Danke, meine liebe Andrea, dass du für uns da warst.

Frau Külling war heute wieder bei mir und wir haben bei Kaffee und Kuchen über die vergangenen Monate gequatscht. Diese Frau beeindruckt mich ungemein, hat sie doch das schlimmste Schicksal, das einer Mutter widerfahren kann, ertragen müssen, .... das eigene Kind jahrelang leiden zu sehen und am Ende gehen lassen zu müssen. Wenn ich darüber nachdenke, dann kann ich es mir kaum vorstellen. Wie viel einfacher ist es da, die Krankheit Krebs selber durchzumachen, als dem eigenen Kind bei der Bewältigung von schmerzhaften Therapien hilflos zusehen zu müssen.
Es war ein schönes Gespräch mit ihr, wir haben auch übers Sterben gesprochen und wie tabuisiert das Thema immer noch ist. Auch den unterschiedlichen Umgang mit dem Tod und mit Trauer haben wir beleuchtet. Eins wird klar, der Tod verliert durch die Auseinandersetzung und auch durch das Konfrontiert-Werden seinen Schrecken... für mich zumindest kann ich das so sagen... und auch sie bestätigt das.
Gesprochen haben wir auch über die Notwendigkeit von Freiwilligenarbeit und Spendenbereitschaft. Ich für mich weiß schon, seit ich Andrea kennen lernen durfte, dass ich in einigen Jahren auch dabei sein möchte. Wenn ich die Erkrankung hinter mir gelassen habe und die Kinder etwas größer geworden sind, dann möchte ich dem Verein das zurückgeben, was er mir gegeben hat... Hilfe, Unterstützung. In Form meiner Arbeitskraft kann ich das heute leider noch nicht machen, zu sehr bin ich noch mit meinem eigenen Projekt „Gesund-Werden“ beschäftigt, aber was ich tun kann, ist in diesem Blog auf Onko Family Care aufmerksam zu machen. Weihnachten steht unmittelbar bevor und vielleicht möchte der eine oder andere ein Geschenk weniger kaufen und dem Konsumwahnsinn etwas Sinnvolles entgegensetzen, indem er für eine wirklich sinnvolle Organisation spendet, bei der das Geld nicht in dunklen Kanälen oder in der Administration versickert, sondern wirklich helfend eingesetzt wird.

Die Aufwendungen der für die Familien kostenlosen Dienstleistungen von Onko Family Care werden weder von der Invalidenversicherung noch von der Krankenkasse übernommen. Das Projekt wird ausschließlich privat finanziert.

Spenden bitte an das Konto des Vereins Onko Family Care richten:
PC 85-73454-2 oder IBAN CH34 0900 0000 8507 3454 2

Jede noch so kleine Spende wird dazu beitragen, dass Onko Family Care betroffene Familien mit Kindern weiterhin umfassend und liebevoll begleiten und beraten kann.




29. Ab in die Röhre

Es ist also soweit ... die MRI-Untersuchung steht an und mir ist nun doch noch mulmig, nachdem ich die vergangenen Tage im Grunde keinen Gedanken mehr daran verschwendet habe. Ich soll dazu in die Hirslanden-Klinik auf der anderen Seite der Stadt. Um Viertel nach zwei ist der Termin und mir ist bereits den ganzen Morgen übel und schwindelig. Mein Unterbewusstsein scheint sich also doch Sorgen zu machen. Wegen der Übelkeit entscheide ich mich für die öffentlichen Verkehrsmittel. Das heißt aber, dass ich mich beeilen muss: Yannick vom Kindergarten holen, denn heute ist Ludothek und die Kids dürfen Spiele nur im Beisein der Eltern ausleihen, schnell heim, fertig kochen und essen und dann turbomäßig Yannick bei der Nachbarin abliefern. Dann geht’s im Eilschritt zur S-Bahn, wo ich leider doch viel zu früh ankomme, weil mich die Nervosität etwas zu sehr angetrieben hat. Nun denn, ich wickle den Schal noch fester um den Hals und ziehe ihn über die Ohren, der Wind weht eiskalt und heftig durch den Bahnhof, ... jetzt nur nicht schon wieder krank werden. Ich denke an die Untersuchung, ginge am liebsten wieder nach Hause, denn ganz tief drinnen will ich gar nicht alles wissen, will auch nicht wissen, wenn da schon wieder ein Knoten oder sonst was wäre. Aber die Vernunft siegt dann doch und mein innerer Schweinehund sagt mir, dass es heißen wird: „Sie sind ohne Befund“. Das Blöde an Logik und Vernunft ist, dass sie sich nach solch einem Jahr der Hiobsbotschaften und schmerzlichen Erfahrungen mit einem unguten Gefühl vermischen, seit Januar 2011 bin ich irgendwie darauf konditioniert. Auch am Anfang dieses Horrortrips stand die Aussage von Ärzten, dass es keinen Grund zur Sorge gebe. Die Fahrt in der S-Bahn beruhigt mich dann wieder, es ist nicht viel los und ich schaue gedankenverloren aus dem Fenster. Die Wärme im Zug macht nach der Kälte des Bahnsteigs müde und entspannt... so sehr, dass ich fast vergesse, in Stadelhofen auszusteigen. Die Macht der Gewohnheit wollte mich bis Tiefenbrunnen fahren lassen, wo ich immer zu den vielen Terminen im Brustzentrum aussteige. In der Kälte warten muss ich diesmal nicht, die passende Tram kommt gerade um die Ecke gebogen.
Pünktlich bin ich in der Klinik ... obwohl die Radiologie nicht einfach zu finden ist ... in einem Nebengebäude über einen speziellen Zugang zu erreichen. Ich werde in ein Wartezimmer im Keller geschickt, wo ich mich kaum hinsetze und schon abgeholt werde. Oh nein, ich muss mal wieder eines dieser „hübschen“ Spitalhemden anziehen, das den Allerwertesten vorteilhaft zur Schau stellt. Okay, okay, ich bin es ja mittlerweile gewöhnt, dann eben einmal mehr modische Spital-Akzente setzen. Ein Venenzugang soll noch gelegt werden für das Kontrastmittel, aber irgendwie verstecken sich die Venen meines linken Armes rigoros, so dass ich am Ende an drei Stellen nach mehreren schmerzhaften und offensichtlich vergeblichen Versuchen blaue Flecken bekomme. Die Damen sind ratlos, ich aber auch, das ist mir noch nirgends passiert. Sie entscheiden, auf den rechten Arm auszuweichen, der eigentlich für solche Aktionen tabu sein sollte – wegen der entfernten Lymphknoten, ... aber es geht wohl nicht anders. Prompt lässt sich die Kanüle rechts wie in Butter setzen. Fünf Minuten später krabble ich auf den Schlitten des Tomographen und muss lachen. Ich werde nicht auf dem Rücken liegend in die Röhre geschoben, sondern auf dem Bauch. Es sieht ulkig aus, wie ich meinen Kopf und die Brüste in die dafür vorgesehenen Aussparungen platziere... bequem ist es jedenfalls nicht, aber die nächsten zwanzig Minuten bleibt mir nichts anderes übrig.... noch Kopfhörer auf mit Radiogedudel ... und schon fängt es an ... Höllenlärm da drin ... hätte ich bloß in Physik besser aufgepasst ... die ganze Zeit frage ich mich, weshalb das so laut sein muss.... und Platzangst darf „frau“ da drin in der engen Röhre auch nicht haben, sonst wird’s brenzlig. Ich bin froh, als die Prozedur vorbei ist, meine nach hinten gedrehten Arme werden nämlich taub, kein schönes Gefühl.
Zehn Minuten später stehe ich schon an der Tramhaltestelle, um einige Erfahrungen und blaue Flecken am Arm reicher, aber unwissend, was den Befund angeht ... darüber wird mich einige Tage nach der Untersuchung meine Ärztin in Kenntnis setzen, sofern sich etwas Negatives aus den Bildern ergibt. Abwarten ... mir bestens vertraut ... und doch unangenehm.

28. Wohnzäsur?

Die Lungenentzündung scheint endlich kein Thema mehr zu sein, meine Blutwerte sind seit heute Vormittag wieder völlig in Ordnung. Husten ist zwar immer noch angesagt, aber ich fühle mich wieder lebendiger und bin wesentlich motivierter.
Ich genieße die Ruhe, allein zu Hause, nur das Ticken einer Wanduhr ist zu hören. Dabei kann ich am besten nachdenken und philosophieren, Antworten für mich finden, schreiben. Diese ruhigen Momente sind besonders wertvoll, es gibt nicht so viele davon in meinem Leben mit drei kleinen Kindern und einem „großen“ Kind (im Mann) zu Hause.
Als ich heute vom Arzt nach Hause kam, traf ich eine Nachbarin, die mir von ihrer Krankheit berichtete. Das warf bei mir wieder einmal Fragen auf. Wir wohnen seit 2006 hier in diesem Haus, lieben unsere Wohnung, aber nun kommen mir mehr und mehr Zweifel, ob wir sie nicht doch verkaufen sollten und aufs Land in ein Einfamilienhaus ziehen, wie mein Mann das schon seit geraumer Zeit wünscht. Wie ich darauf komme?
Ein Gedanke: Mhm, wie sag ich’s am besten, ohne zu klingen, als würde ich spinnen, also ... das Haus wurde 2006 gebaut, in diesem Jahre sind alle neun Familien hier eingezogen, auch wir. Nun, anfangs waren alle im Haus gesund, motiviert, freuten sich an ihrem Wohneigentum, das Verhältnis untereinander war fantastisch - ist es auch immer noch, aber dann fing es an. Wirklich alle Familien hier im Haus sind mittlerweile von ernsthaften Krankheiten und Leiden betroffen. Ist das Zufall? Ich glaube ja eigentlich nicht an Schwingungen oder Energiefelder oder so was ... aber was, wenn da doch etwas dergleichen vorherrscht, das uns alle negativ beeinflusst? Ich weiß es wirklich nicht, bin skeptisch, aber dann auch wieder zu rational, um an Zufälle zu glauben.
Ein weiterer Gedanke: Ich, der Stadtmensch, bin in der „städtischen“ Umgebung lebensbedrohlich krank geworden. In der Vergangenheit habe ich mich Hände ringend geweigert, aufs Land zu ziehen, suchte den Puls der Stadt, das Gewimmel, das Leben, die kulturelle Vielfalt, die Möglichkeiten dort, den öffentlichen Nahverkehr für die Mobilität. Aber heute ... mhm ... bin ich nicht mehr absolut sicher, ob das für mich richtig ist, ob mich das glücklich macht. Ich habe eine kleine Familie, drei Kinder, die viel mehr Freiheiten hätten auf dem Land, viel mehr Naturverbundenheit, nicht nur sie, auch wir als Eltern. Und eine Familienkatze oder ein Familienhund könnte sich dort austoben. Und etwas ganz Wesentliches findet man auf dem Land sicher einfacher, ... Ruhe, und die ist definitiv wichtig für mich geworden, ... äußere Ruhe, ... innere Ruhe.
Und noch ein Gedanke: Ich bin an einem Punkt angelangt, an dem ich eine Veränderung begrüßen würde, einen Schlussstrich, einen Neustart, der die Zeit der Diagnose, der Hardcore-Therapie, der Trauer, die Zeit der vielen schlimmen Momente in diesem Jahr abschließt. Vieles in der jetzigen Wohnumgebung ist unweigerlich mit diesen Momenten verknüpft.
Ich halte mal die Augen offen nach unserem „Häuschen“ im Grünen, vielleicht eröffnet sich eine Möglichkeit, die mir eine Entscheidung zusammen mit meinem Mann leicht macht. Einfach wird es sicher nicht. Und es müsste letztlich für alle Familienmitglieder der passende Neustart in die Zukunft sein.


(Strolchi, von der ich mich im Mai 2011 nach 12 gemeinsamen Jahren unvorbereitet verabschieden musste, 
nachdem uns Butzli bereits ein Jahr zuvor schmerzlich verlassen hatte.)

27. Wochenend und ... Notfallstation

Das Wochenende fing sooooo schön an.
Den Freitag genieße ich voll und ganz, tagsüber jedenfalls vollumfänglich. Nachdem Yannick in den Kindergarten losmarschiert ist und ich mich dank der verordneten Medikamente etwas fitter fühle, mache ich mich auf den Weg zur S-Bahn und treffe mich im Hauptbahnhof mit meiner guten Freundin und Arbeitskollegin Vivi. Schon vor Monaten hatte ich ihr zum Geburtstag einen Gutschein für ein Frühstück in der City geschenkt, den sie nun einlöst. Ich freue mich riesig, mal wieder in Zürich zu sein, von allem abgelenkt, von meiner durch die Medikamente etwas erträglicher gewordenen Dauererkältung, von meinen unbewussten Ängsten, vom Alltagstrott zu Hause. Die Freude wird noch größer, da kein Zeitdruck auf mir lastet, denn Yannick wird am Mittag von seinem Götti abgeholt und verbringt den Nachmittag mit ihm. Und die Mädels sind in der Krippe gut versorgt.
Los geht’s also ... zwei gut gelaunte Frauen gehen ins Gran Café, nachdem das Bohemia wegen Umbau geschlossen ist und bei Sprüngli eine geschlossene Veranstaltung unser Frühstück verhindert. Schön ... das Frühstück lecker, die Gespräche sehr gut, die Sonne erhellt unser Gemüt noch zusätzlich.
Gegen Mittag wage ich ihn dann... den Sprung ins Zürcher Einkaufsgewimmel rund um die Bahnhofstraße und ich vertrage die Menschenmassen erstaunlich gut, was vor Wochen noch undenkbar gewesen wäre und Panikattacken zur Folge gehabt hätte. Viel zu lange habe ich das doch nicht mehr gemacht. In aller Ruhe trotz Hektik um mich herum suche ich nach Kleinigkeiten für die Adventskalender der Kinder. Wie jedes Jahr füllen wir die jeweils 24 von meiner Schwester selbst gebastelten Schnee- und Weihnachtsmänner mit kleinen Überraschungen. Zu viel Süßes kommt nicht hinein, weil die Kleinen leider sehr extrem darauf reagieren. Muss ja auch nicht sein. Und ich werde fündig... von Fingerring über Zauberbad über kleine Ritter- und Piratenfiguren, Kinder-Tattoos, Malstifte bis hin zur grünen Weihnachtskrawatte mit Micky-Maus für den 24sten ist alles dabei. Die Suche ist zeitaufwändig, lohnt sich aber und macht Spaß.
Am Nachmittag bin ich dann wieder zu Hause und schon hat mich der Alltag wieder. Der Haushalt ruft zu laut, als dass ich mich getrauen würde, die Beine zu lange hochzulegen und die Seele baumeln zu lassen. Abends ist dann die ganze Familie wieder vereint, hinzu kommt noch Annikas Götti, Yannicks Götti kann leider nicht bleiben. Alles verläuft gemütlich und ruhig, das Curry zum Abendessen schlemmen alle genüsslich, ins Bett gehen die Kinder dann um acht Uhr willig. Aber da ist es dann auch schon vorbei, mein schönes Wochenende.
Gerade, als ich Annika ihren Gute-Nacht-Kuss geben will, da passiert es... mein Zwerchfell versetzt mir einen wahnsinnig schmerzhaften, anhaltenden Stich, ich kann kaum Luft holen oder mich bewegen. Hinlegen und entspannen sollte da doch helfen, denke ich zumindest. Ein Hustenanfall führt aber dazu, dass alles noch schlimmer wird. Ich kann nur noch unter höllischen Schmerzen ganz flach atmen... werde allmählich unruhiger und weiß, dass jetzt irgendwas überhaupt nicht mehr gut ist. Was ist da bloß los? Verflixt noch mal. Mein Hausarzt hat doch noch vor einigen Tagen Entwarnung gegeben. Mein Mann und unser Gast merken nach und nach, dass ich Hilfe brauche, ich kann kaum sprechen, die Luft bleibt mir weg. Ich bekomme Panik. Mein Mann ruft die Ärzte-Hotline unserer Krankenkasse an und übergibt mir das Gespräch. Mit Müh und Not kann ich der Ärztin am Telefon Auskunft geben, sie macht mir Angst, spricht von Lungenembolie. Sie fackelt nicht lange und ruft direkt die Sanität. Meine Panik wird gleich noch größer, ich will doch gar nicht ins Spital, das kann doch jetzt alles nicht wahr sein, ich will doch nur endlich zur Ruhe kommen, Hilfe, nein, bitte nicht. Als dann nach zehn Minuten schon drei Sanitäter vor mir knien, breche ich in Tränen aus, auch wenn das noch mehr Schmerzen bedeutet. Das ist nach den vergangenen Monaten und den mühsamen Erkältungswochen einfach zu viel für mich. Ich will das alles nicht.
Mein Mann fährt hinter dem Sanitätswagen her, er möchte dabei sein, worüber ich sehr froh bin. Wie gut, dass unser Besucher bei den Kindern bleibt. Die Fahrt kommt mir wie eine Ewigkeit vor, jede Kurve, jedes Holpern verstärkt für einen Moment die Schmerzen beim Atmen. Tausend Gedanken sausen durch meinen Kopf: Was ist da los? Kann das wirklich eine Embolie sein? Im Spital bleiben will ich nicht. Was, wenn ich jetzt überhaupt nicht mehr gesund werde, wenn das immer so weiter geht? Könnten am Ende doch schon irgendwelche Ableger ihr Teufelswerk in meiner Lunge verrichten? Oh nein, was dann? Nein, nein, alles in Ordnung, das ist sicher nur ein eingeklemmter Nerv oder so, das tut ja auch höllisch weh ... denke ich wenigstens, da ich in meinem bisherigen Leben immer gesund war. Bitte, bitte, lass es nur das sein. Der Sanitäter an meiner Seite lenkt mich gut ab, bringt mich sogar zum Lachen, auch wenn das weh tut. Ich beruhige mich langsam und schon sind wir im Spital.
In der Notfallaufnahme ist viel los, Wochenenden scheinen dort ja immer für Hochbetrieb zu sorgen. Stunden um Stunden vergehen und Infusionen und Untersuchungen helfen, den Schmerz erträglich werden zu lassen. Um halb vier in der Nacht dann das Abschlussgespräch mit dem zuständigen Assistenzarzt, extrem jung, er wirkt auch insgesamt nicht besonders souverän, aber das muss ja nicht bedeuten, dass er keine Ahnung hat. Er will mich über Nacht da behalten, wohl weil er nicht wirklich weiß, was mit mir nun definitiv los ist. Er lasse mich ungern mit der Möglichkeit einer Embolie nach Hause. Wir einigen uns schließlich darauf, dass ich die Blutverdünner-Spritze bekomme, für die Erkältung ein Antibiotikum, für die Schmerzen Medikamente erhalte und in einigen Stunden wieder erscheinen müsse, damit eine Oberärztin entscheiden könne, ob ein CT notwendig wäre.
Um 4 Uhr liege ich dann todmüde im Bett, ich schlafe wie ein Stein, obwohl sich nach und nach Annika und Yannick zu uns ins Bett gesellen und um halb 6 Lina nicht mehr schlafen will und erst bei uns im Bett weiterschläft. Mir egal. Ich will einfach schlafen. Um halb sieben ist die Ruhe dann vorbei, Lina schreit nach ihrer Flasche, die beiden anderen in der Folge nach ihrer Milch. Kaum sind alle drei damit versorgt, erscheint auch schon meine Retterin, mein Engel, meine Zwillingsschwester im Schlafzimmer. Sie ist gekommen und nimmt die drei Zwerge mit ins Wohnzimmer, damit mein Mann und ich noch etwas Schlaf nachholen können. Zweieinhalb Stunden werden es letztlich, oh wie tut das gut. Nach einem Mini-Zwangsfrühstück (wegen der Medikamente) düsen wir los zurück ins Spital, wo die Ärzte zum Schluss kommen, dass ich eine Brustfell- und Lungenentzündung habe, die Medikation dahingehend ändern und mich mit der Order nach Hause gehen lassen, dass ich mich ausruhe und mal ein paar Tage darauf verzichte, die Kinder hochzuheben. Oh je, das wird schwer, vor allem mit Lina, die sich mit 9 Monaten ja nur „auf-dem-Po-rutschend“ vorwärts bewegt und noch nicht selbst läuft. Zuhause angekommen spüre ich die Erschöpfung und verschlafe den ganzen Samstag. Ich bin froh, dass eine plausible Diagnose gestellt wurde. Somit erhalte ich nun die richtigen Medikamente und die als „Erkältung“ getarnte Lungenentzündung gehört in ein paar Tagen der Vergangenheit an ... hoffentlich.
Ah... fast vergesse ich zu erzählen, dass der Sonntag auch noch einen Schreckmoment bereithält. Diesmal versetzt Yannick die Familie in Unruhe. Seit Samstag hat er Fieber und starke Kopfschmerzen. Als er am Sonntag über noch stärkere Kopfschmerzen klagt und seinen Kopf weder nach vorn noch nach hinten neigen kann, klingeln alle Alarmglocken bei mir und ich denke sofort an Hirnhautentzündung. Der Arzt vom Wochenendnotdienst untersucht ihn und gibt aber Gott sei Dank Entwarnung. Bettruhe und Paracetamol sollten helfen, ihn wieder fit zu machen.
Das war es also ... mein „Wochenend’ und Sonnenschein“ ... und Notfallstation. 

26. Annabelle - ach Annabelle

Das mit den Abwehrkräften ist echt so ne Sache. Meine glänzen seit einigen Wochen durch Abwesenheit, nachdem sie mir während zehn Monaten Therapie gute Dienste erwiesen haben und mich gut „beschützt“ haben, bis vor einigen Wochen zumindest. Gestern habe ich es nicht mehr ausgehalten und habe meinen Hausarzt bekniet, mich mit Medikamenten einzudecken, damit die hartnäckige Erkältung, die tatsächlich bereits in die sechste Woche geht, endlich wieder erträglich wird. Also nehme ich nun täglich acht Medikamente, wenigstens bis die Erkältung abklingt, um dann wieder auf drei Medis täglich reduzieren zu können.
Ein oder zwei Wochen dauert es ja normalerweise, dann sind Schnupfen und Husten Vergangenheit, aber diesmal will und will es einfach nicht besser werden, im Gegenteil, es wurde die letzten Tage fast noch schlimmer, mein Brustkorb schmerzt, als wäre eine Lokomotive darüber gerollt. An erholsamen Schlaf ist seit Wochen nicht zu denken und alle Versuche, der Erkältung mit Hausmittelchen zu begegnen, sind erfolglos geblieben. Das zermürbt ungemein und eigentlich hatte ich ja gehofft, jetzt nach der Bestrahlungstherapie zur Ruhe zu kommen und Kraft für meinen beruflichen Wiedereinstieg sammeln zu können.

Warum pausiert mein Immunsystem gerade jetzt, wo ich doch mein Leben neu ordne, anpacke und zu genießen versuche? Der Doc meint, es sei ganz typisch nach solch einer Diagnose und Therapie. Über Monate hinweg sind Körper und Psyche extrem gefordert, so dass nach der Therapie ein Erschöpfungszustand eintritt.
Ist das so? Ich horche in mich hinein und versuche eine Antwort zu finden. Mhm... es stimmt schon, während der Hardcore-Phasen der Therapie war ich zielstrebig, motiviert, „kämpferisch“ (Das Wort gefällt mir eigentlich gar nicht, für alternative Vorschläge bin ich dankbar... wären „wagemutig“ oder „unverzagt“ besser?). Danach, da kam dieses Gefühl der Leere, ein Gefühl, plötzlich schutzlos zu sein. Meine Bodyguards, die Chemoinfusionen und die Bestrahlung, waren nicht mehr da, um mir dabei zu helfen, die Krebszellen fernzuhalten.
Wirklich bewusst geworden ist mir das auch heute wieder, als ich mit meinem eigenen Bild konfrontiert wurde. Die Annabelle-Reportage ist veröffentlicht und auf dem dort abgedruckten Foto sehe ich eingeschüchtert aus, verängstigt, irgendwie schutzlos. Zugegeben, am Tag des Fotoshootings habe ich mich auch ein wenig so gefühlt. Die Linse eines Profifotografen kann "frau" wohl nicht täuschen.
Morgen habe ich wieder einmal einen Termin bei meiner Psychologin, den ich zuerst absagen wollte, weil mich die Dauererkältung wirklich lahm legt. Ich bin aber zum Schluss gekommen, dass ich diese Schutzlosigkeit, dieses Gefühl der Angst, dass ich das mit Hilfe meiner Psychologin schnellstens in den Griff bekommen muss. Dann springt vielleicht auch mein Immunsystem wieder an und meine Abwehrkräfte beenden ihr von mir nicht genehmigtes Sabbatical.


25. Schreckgespenst

Gespenster haben manchmal etwas Gutes an sich, sie verschwinden zwischendurch oder lassen sich vertreiben. So hoffentlich auch mein Schreckgespenst, die Angst vor einem Wiederauftreten des Brustkrebses, vor allem so schnell nach der Chemotherapie und während meines metronomischen Chemojahres.
Gestern wurde ich im Brustzentrum ausgiebig untersucht und der Knoten war tastbar, tat auch weh, war aber nicht bildlich auffindbar. Und das bedeutet, dass es sich mit großer Wahrscheinlichkeit „nur“ um einen reaktiven Lymphknoten handelt, der auf Hochtouren arbeitet, weil mein Immunsystem nach Bestrahlungsende irgendwie schlapp gemacht hat und sich eine Pause gönnt. Ein ganzes Jahr lang war ich trotz schniefender, hustender und von vielfachen Infekten geplagter Familienmitglieder wenigstens dahingehend gesund. Mein Immunsystem wusste wohl, dass es sich aufs Wesentliche konzentrieren muss, und hat alle Reserven hochgefahren. Die Reserven sind aber scheinbar aufgebraucht, denn seit mittlerweile fünf Wochen bin ich heftig dauererkältet. Zur endgültigen Absicherung wird nun aber noch ein MRI der Brust veranlasst, um ganz sicher zu gehen.
Bianca-typisch bleibt aber ein klitzekleines Schreckgespenst im Hintergrund. Erstens hieß es auch damals im Januar, dass alles in Ordnung sei und dass es keinen Grund zur Sorge gebe. Und zweitens kann ein Lymphknoten auch deshalb reaktiv sein, weil er auf Tumorzellen im Körper reagiert. Mhm, ich versuche, meine kopflastige Seite nicht zu stark werden zu lassen und nicht sooooooo viel zu grübeln. Ich versuche es zumindest. Ändern kann ich ja sowieso nichts. Ich bleibe dran, meine Motivation, meine Intuition und meine Lebensfreude aktiv zu fördern, dann kann ich nämlich in fünf oder zehn Jahren sagen, ich hab’s gepackt. 

24. Wegdenken, wegreden...


Immer, wenn allmählich Normalität einzukehren scheint oder besser gesagt, wenn ich hoffe, dass es so ist, dann ... kommt er mal wieder ... ein Schuss vor den Bug, der jede Normalität und den Glauben an mein Happy End erneut erschüttert.
Seit zwei Tagen taste ich ihn, Knoten Nr. 2, diesmal in der anderen, in der bisher heil gebliebenen Brust. Warum? Weil ich ein Déja Vu hatte, ein Stechen ähnlich dem damals in der rechten Brust. Wieder und wieder taste ich ab, erwische mich dabei, wie ich ihn mir „wegdenke“, wie ich ihn mir „wegrede“, den Knubbel. „Nein, da ist nichts. Warte doch mal ein paar Stunden ab, dann spürst du sicher nichts mehr!“, rede ich mir wenig überzeugend selber ein. Ein paar Stunden später unter der Dusche werde ich auch schon eines Besseren belehrt. Nichts ist weg, der Knubbel noch da, und weh tut er auch. Ok, immerhin lässt sich das Wehtun mit dem energischen Abtasten vielleicht noch irgendwie erklären, aber dennoch, der Knoten bleibt und lässt sich nicht wegdenken.
Am Freitag, also übermorgen, weiß ich mehr, bin entweder erleichtert, weil ich einen der 80% „guten“ Knubbel habe, oder aber bin am Ende meiner Kräfte, weil das bedeuten würde, dass die Chemo umsonst war, weil es auch bedeuten würde, dass ich noch mal durch die Therapien müsste. Wobei, wenn die ja nichts verhindert hätten, welche Therapien blieben dann noch?
Ich bemühe mich redlich, das Ganze nicht überzubewerten, was aber aufgrund der vergangenen Monate und Erfahrungen sowas von schwierig ist. Cool bleiben, nicht aufregen, nicht immer gleich den Teufel an die Wand malen. Ich tu mein Bestes. Wie gut, dass ich drei Kinder habe, die für Ablenkung in rauen Mengen sorgen. 

23. Große Frage, große Antwort?

Die große Frage nach dem Sinn, nach dem Warum... sinnlos und dann doch auch wieder sinnvoll. Hin und wieder mache mir Gedanken darüber, warum sie mich treffen muss, diese fiese Krankheit, die mein Leben innerhalb weniger Monate auslöschen kann und meine Kinder zu Halbwaisen und meinen Mann zum Witwer machen würde. Warum nur? Dieses Warum führt mich nicht wirklich zum Aufspüren der Ursachen der Krebserkrankung, aber es führt mich an einen Punkt der Klarheit. Die Jahre vor der Diagnose waren gekennzeichnet durch Selbstverständlichkeiten. Ich nahm vieles in meinem Leben wohl zu selbstverständlich, zu sicher: Liebe, Ehe, Kinder, Familie, Freunde, Job, meine Umwelt bis ins kleinste Detail, das Leben generell und damit nicht zuletzt meine Gesundheit.

Ohne Vorwarnung kommt er dann aus dem Nichts, der Tag, der mein Leben, meine innere Sicherheit, die Selbstverständlichkeiten zum Einsturz bringt, einem Einsturz, der in vielfacher Hinsicht tiefe Wunden reißt. Meine Gesundheit wandelt sich von einem Tag zum nächsten in Krankheit, in eine Krankheit, die schleichend und unbemerkt bei mir eingezogen ist, wo ich doch nie einen Untermieter oder Mitbewohner dieser Art wollte. Wer hat dem Typ die Tür geöffnet, ihn womöglich sogar eingeladen? Am Ende gar ich selbst? Es beginnt ein Verdrängungskampf, ein Kampf ums Überleben, denn anfangs glaube ich inbrünstig, nur einer kann hier wohnen, er mit Namen Brustkrebs, der am liebsten noch weitere Mitbewohner namens Metastasen einladen würde und Partys auf meine Kosten feiern würde, oder eben ich, die Frau, die mit ihrem Mann alt werden möchte und in dreißig Jahren auf ihre Enkelkinder aufpassen will.

„Du musst kämpfen, Bianca!“ Ist Kampf das richtige Mittel? Kampf gegen die Krebszellen, Kampf ums Überleben? Kämpfen gefällt mir nicht, Kampf klingt nach Krieg, nach Feinden, nach Verlusten, nach unnötigem Leid. Bin ich das, eine Kriegerin? Nein, das will ich nicht sein. Besser erscheint es mir da, dem Herrn namens Brustkrebs nachdrücklich und immer wieder bewusst aufzuzeigen, dass das widerrechtliche Mietverhältnis nur auf Zeit oder zu meinen Konditionen besteht. Denn eins ist mal klar, man kann solch knallharte Typen nur durch knallharte Konsequenzen in ihre Schranken weisen. Welche Konsequenzen? Nun, er darf eine Weile gratis bei mir wohnen, wenn er jedoch seine Vermieterin kaputt macht, verliert er sein Zuhause und wird jämmerlich zugrunde gehen. Also sollte er sich freiwillig nach einer neuen Bleibe umsehen oder wenigstens dauerhaft ruhig bleiben und sich an meine Spielregeln halten. Daran erinnere ich ihn regelmäßig, vor allem, wenn es mal wieder irgendwo verdächtig und beängstigend zwickt oder zwackt. Die Angst, dass er nicht mitmacht und seine eigenen Spielregeln aufstellt, diese Angst bleibt dennoch.

Die Wunden, die er, mein verborgener Mitbewohner, an meinem Körper und in meiner Seele gerissen hat, sind tief und vielfältig. Da sind natürlich die offensichtlichen, die körperlichen Spuren, die die Operation, die Chemotherapie und die Bestrahlung hinterlassen haben. Sie sind und bleiben nun ein Teil von mir und auch, wenn sich mein Spiegelbild verändert hat, so sind die Wunden im Inneren doch die Größeren. Das Selbstvertrauen in den eigenen Körper zum Beispiel, das ist in die Brüche gegangen und es dauert wohl eine lange Zeit, bis es wieder gekittet ist. Wie soll ich jemals wieder meinem Körper vertrauen, nachdem er mich so tief enttäuscht hat, nachdem er etwas derart Bedrohliches in mir hat wachsen lassen, ohne dass ich es gespürt habe? Andererseits habe ich erfahren dürfen, wie stark ich bin und wie viel mehr ich hätte ertragen können. Die eigene Leistungsfähigkeit zu erfahren, das gibt auch Kraft.

Nicht nur mich selbst als Individuum hat der Brustkrebs verwundet, nein, auch meine Liebsten, also meinen Mann, meine Kinder, meine Eltern, meine Geschwister und viele mehr.
Meine Mutter ist wegen des für sie unerträglichen Kummers gestorben, ihre Wunden waren zu tief, sie konnte ihre Tochter nicht leiden sehen, sie wollte nicht miterleben, wie der Krebs ihren Enkelkindern womöglich die Mutter nimmt, sie wollte unter allen Umständen verhindern, am Grab ihrer Tochter stehen zu müssen. Davon bin ich zutiefst überzeugt. So trage ich auch daran, an der Erkenntnis, dass ich den plötzlichen Herztod meiner Mutter vielleicht nicht alleine, aber doch mitverursacht habe.

Die Wunden, die mein Untermieter an meinem Mann und meinen Kindern gerissen hat, die vermag ich meist nur zu erahnen. Wie oft in den vergangenen Monaten war ich schwach und habe als Mutter und auch Ehefrau nicht das zur Familie beitragen können, was für deren harmonisches Funktionieren nötig gewesen wäre? Wie oft war ich in meiner Höhle und wenn ich dann herauskam, unausgeglichen, launisch? Wie oft kamen mein Mann und ich an unsere Belastungsgrenzen und haben einander nicht mehr verstanden, uns voneinander distanziert? Viel zu viele Paare zerbrechen an solch einer Erkrankung und den damit verbundenen zwischenmenschlichen Herausforderungen. Und so hat jede derart tiefe Wunde auch wieder ihre gute Seite. Wenn man es schafft, sie nicht immer wieder aufzureißen, wenn man es schafft, sie erträglich werden zu lassen, weil man sich ihr stellt und sie nicht verdrängt, dann erwächst daraus etwas Wundervolles. Eine Krise erschüttert und verbindet. Bei uns ist es jedenfalls so. Wer weiß, ob wir die Auseinandersetzung mit uns als Paar gesucht hätten, wenn uns nicht der Krebs dazu gezwungen hätte. Aber so gehen wir gestärkt als Paar aus dem Desaster hervor, auch wenn es zwischendurch nicht immer danach aussah.

Mein ungebetener Untermieter hat mir auch gezeigt, wer wirklich zu mir steht, wer wirklich für mich da ist. Freunde sind Freunde, diese Gleichung relativierte sich für mich. So hat mir die Krise auch viele Menschen geschenkt, von denen ich bisher nicht wusste, dass sie mir so nahe stehen, dass sie in der Tat für mich und meine Familie da sind.

Ich merke Tag für Tag mehr, wie mich die vergangenen Monate verändert haben. Prioritäten verschieben sich radikal und so kann ich heute vieles gelassener sehen, was mich früher ungemein gestresst oder aufgeregt hätte. Die Wohnung ist nicht aufgeräumt und es kommt Besuch? Was soll's, ... wer mich daran misst, muss gar nicht erst zu Besuch kommen. Hinter mir an der Ampel hupt ein Ungeduldiger? Was soll's, ... sich aufzuregen ändert auch nichts. Ich bekomme mit, wie ein paar Leute über andere lästern? Was soll's, ... die Armen werden irgendwann vielleicht merken, wie oberflächlich sie sind. Früher hätte ich mich aufgeregt und eine böse Bemerkung losgelassen, der meinen Blutdruck ins Unendliche getrieben hätte. Heute denke ich mir, das ist es nicht wert. Allen alles Recht machen zu wollen? Allen gefallen wollen und mit allen gut auskommen? Was soll's ... man kann das Heu nicht immer auf der gleichen Bühne haben. Da ist es besser, sich selbst treu zu bleiben und das fällt mir heute viel leichter. 

Die Antwort auf die große Frage nach dem Warum ist für mich nach langen Monaten der Angst und Quälerei also von Hoffnung, Dankbarkeit und einem tiefen Sinn geprägt:

Welchen Sinn ich meine? Ich ...
... überdenke mein Leben als Ganzes und ordne es neu.
... lerne die Schönheit um mich herum bewusster wahrzunehmen.
... bin zutiefst dankbar für jede Minute, jede Stunde, jeden Tag.
... weiß nun besser, was ich will und was definitiv nicht mehr Teil meines Lebens sein soll.
... möchte das Motto „Leben und leben lassen“ nicht nur so dahinsagen.
... darf die uneingeschränkte Liebe einiger Menschen erwidern.
... erfahre, wer aufrichtiger Freund auch und gerade in schweren Zeiten ist.
... weiß, wo ich hingehöre.



Laufe nicht der Vergangenheit nach und verliere dich nicht in der Zukunft.
Die Vergangenheit ist nicht mehr. 
Die Zukunft ist noch nicht gekommen.
Das Leben ist hier und jetzt.

(Buddha)