Meine Perücke und ich, wir haben ein ziemlich seltsames Verhältnis zueinander. Begonnen hat unsere Beziehung am 26. Februar 2011, da hatte ich das Vergnügen oder sinnvoller das notwendige Übel, mir ein Modell auszusuchen, das zu mir passt. Muss es überhaupt eine Perücke sein? Es gibt mehr als genug mutige Frauen in meiner Situation, die mit Glatze, Tuch, Hut oder Mütze auf die Straße gehen, was ich bewundernswert finde und wenn ich heute Frauen mit totalem Haarverlust sehe, dann fühle ich mich ihnen unweigerlich sehr verbunden. Leider bin ich selbst nicht so mutig. Ich fühle mich nicht schön, meine Kopfform passt nicht zu Haarlosigkeit, ich fühle mich nackt und ausgestellt und abgesehen davon friere ich ohne Haare.
Zurück zum 26. Februar: Meine Schwester fährt mit mir nach Stuttgart, eine alte Schulfreundin besuchen und bei der Gelegenheit in Deutschland eine Perücke kaufen. Warum nicht in der Schweiz? Nun ja, das Hochpreisland Schweiz ist auch in Sachen Perücken teuer. Und da ich aus Gründen der Praktikabilität keine angepasste Echthaarperücke möchte, sondern ein fertiges Synthetikmodell, bietet es sich an, ins günstigere Ausland zu fahren. Dann bleiben mir noch Mittel übrig, um Tücher, Kappen und andere Kopfbedeckungen zu erstehen. Die Kosten dafür übernimmt die IV bis zu einem Betrag von 1500 Franken.
Ich weiß schon jetzt, dass ich sie nur draußen tragen werde. Zu Hause werden entweder Tücher und Kappen mein Haupt schmücken oder ich setze auf pure Natürlichkeit. Wir finden den Laden und ich probiere eine nach der anderen auf. Es wird schnell klar, dass ich mir und meiner alten Frisur annähernd treu bleiben muss. Kurzhaarfrisur? Arrrglllll ... sehe aus wie sechzig, trotz modernem Schnitt. Farbwechsel gefällig? Rot, blond, schwarz vielleicht? Mmpfff ... blass, blasser, am blassesten. Ich nehme also letztlich sozusagen mein altes Ich, schulterlange, hellbraune, mit einigen blonden Strähnchen durchzogene glatte Haare.
Gerne trage ich sie nicht, meine Perücke, auch wenn sie den Schein wahrt und mir dadurch von außen nicht jeder gleich anmerkt, dass eine Chemo über mein Leben bestimmt. Ständig habe ich das Gefühl, ich müsste sie zurechtrücken. Was ist, wenn sie mir einfach vom Kopf schnalzt, wegspickt, wenn ich es nicht erwarte? Ich lache mich tot bei diesem Bild vor Augen, aber die Peinlichkeit möchte ich mir doch lieber ersparen.
Die Kinder sehen mich mehrheitlich ohne Kopfbedeckung. Yannick erzählt dann auch allen Bekannten, die uns draußen begegnen, dass Mamis Haare nicht „richtig“ seien, dass es eine Perücke sei, weil Mami Medikamente nehmen müsse. Er scheint fast ein bisschen stolz darauf zu sein. Beim ersten Mal muss ich loslachen, als ich das Gesicht der Person sehe, die diese kindliche Sicht serviert bekommt.
Sie sind wieder da ... meine Haare. Sie haben seltsamerweise schon wieder begonnen zu wachsen, als ich noch mitten in der Chemo steckte. Ich hatte mit einer viel länger dauernden haarlosen Zeit gerechnet. Anfangs traue ich mich nicht, mit den kurzen Stoppeln nach draußen zu gehen, meine Perücke gibt mir Sicherheit. Doch etwa Mitte August überredet mich mein Mann, es doch zu versuchen und über meinen Schatten zu springen. Er findet, es sehe gut aus. Nun ja, meine Meinung ist das nicht, die Haare sind noch weit davon entfernt, Frisur genannt werden zu können, aber ich mach’s, raus in die Welt mit Bubikopf. Mein Selbstbewusstsein wird überraschenderweise stärker dadurch. Subjektiv gesehen fühle ich mich permanent beobachtet, obwohl das wahrscheinlich gar nicht so ist, aber mit hoch erhobenem Kopf trotze ich den vermeintlich neugierigen Blicken.
In Verlegenheit bringe ich eine Migros-Kassiererin (oder eher sie mich?), die das Foto auf meiner Kreditkarte begutachtet, auf dem ich natürlich noch mit langen Haaren zu sehen bin. Ihr freundlich gemeinter, aber dennoch zu persönlicher Rat „Die langen Haare stehen Ihnen aber besser!“ wird von mir mit Ehrlichkeit kommentiert, nämlich, dass ich ihrer Meinung sei, aber nichts daran ändern könne, eine Chemotherapie bringe das so mit sich. Oh je, die arme Frau wird nie mehr etwas Persönliches oder Spontanes zu Kunden sagen, ihr Gesicht glüht in tiefstem Rot und sie hört gar nicht mehr auf, sich bei mir zu entschuldigen, betont, wie dumm sie sich fühle und wie unendlich peinlich ihr das sei. Nun ja, da haben wir beide mit unseren Äußerungen wohl etwas übers Ziel hinausgeschossen, sie tut mir im Nachhinein leid, hatte sie es doch wahrscheinlich nur nett gemeint.
Zeit, sich zu verabschieden, von dir, meiner Perücke ...
Leb wohl! Du hast mir in einer schweren Zeit wahrlich geholfen, es war oft wahnsinnig lustig mit dir, aber du hast mir auch unnötig Angst gemacht, Angst, dich ausgerechnet dann zu verlieren, wenn ich dich am dringendsten bräuchte. Es ist deshalb nur konsequent, unsere Beziehung hiermit zu beenden. So ist das nun mal mit Lebensabschnittspartnern. Bilde dir ja nicht ein, du könntest in mein Leben zurückkehren. „Lass uns Freunde bleiben!“ - das klappt doch eh nicht. Mach dir also bitte keine Hoffnungen. Ich gehe meinen Weg fortan ohne dich.
2 Kommentare:
hmm..., ich konnte nicht anders als laut auflachen, als ich yannicks erklärungen zur den "bad hair" days von mami las.
hang in there...
youtube: bobbie cryner - i didn't know my own strength
mit den besten wünschen,
auguste
Hallo danke für diesen Artikel. Er macht Mut. Meine Perücke habe ich hier http://www.brehmertop.de/peruecken.php gekauft und war zufrieden. Vielleicht nützt das jemandem. Wenn man in der Chemo ist dreht sich ja vieles den vertrauten Dingen.
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