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Kanton Zürich, Switzerland
* geboren 1973 * glücklich verheiratet * Diagnose Brustkrebs vom Typ triple negativ im Alter von 38 J. * zum Zeitpunkt der Diagnose in der 33. Schwangerschaftswoche und Mutter eines 3 1/2-jährigen Sohnes und einer 2-jährigen Tochter

Bloggen - wozu?

Bloggen - wozu?

Nachdem ich die Hardcore-Therapie hinter mich gebracht habe, dient mir dieser Blog zum persönlichen Verarbeiten, vor allem auch rückblickend auf die einschneidendsten Erlebnisse. Darüber hinaus hoffe ich, Kontakt zu Leidensgefährtinnen zu knüpfen, die es da draußen in so erschreckend großer Zahl gibt. Und nicht zuletzt sind meine Blogeinträge auch für meine Familie und Freunde verfasst, die mich seit der Diagnose auffangen und mir tatkräftig zur Seite stehen. Der Blog ist leider nicht immer auf dem aktuellen Stand, ich arbeite aber im Rahmen meiner Möglichkeiten daran, das zu erreichen. Die Nummerierung der Titel entspricht der Chronologie der Geschehnisse. Hier könnt ihr lesen, wie sich im Januar 2011 mein Leben auf den Kopf gestellt hat.

Per E-Mail freue ich mich über Reaktionen, konstruktive Fehlermeldungen oder einfach einen lieben Gruß. Bitte hier klicken.

Das Neueste: ... es geht mir gut :-) und das auch dank eines weiteren Hakens auf meiner Bucket-List, mein eigener Hund bzw. Hündin, die mir seit einem halben Jahr so viel gibt und mich positiv fordert, erdet und mir hilft, wieder mehr (innere) Ruhe in mein Leben zu bringen.

27. Wochenend und ... Notfallstation

Das Wochenende fing sooooo schön an.
Den Freitag genieße ich voll und ganz, tagsüber jedenfalls vollumfänglich. Nachdem Yannick in den Kindergarten losmarschiert ist und ich mich dank der verordneten Medikamente etwas fitter fühle, mache ich mich auf den Weg zur S-Bahn und treffe mich im Hauptbahnhof mit meiner guten Freundin und Arbeitskollegin Vivi. Schon vor Monaten hatte ich ihr zum Geburtstag einen Gutschein für ein Frühstück in der City geschenkt, den sie nun einlöst. Ich freue mich riesig, mal wieder in Zürich zu sein, von allem abgelenkt, von meiner durch die Medikamente etwas erträglicher gewordenen Dauererkältung, von meinen unbewussten Ängsten, vom Alltagstrott zu Hause. Die Freude wird noch größer, da kein Zeitdruck auf mir lastet, denn Yannick wird am Mittag von seinem Götti abgeholt und verbringt den Nachmittag mit ihm. Und die Mädels sind in der Krippe gut versorgt.
Los geht’s also ... zwei gut gelaunte Frauen gehen ins Gran Café, nachdem das Bohemia wegen Umbau geschlossen ist und bei Sprüngli eine geschlossene Veranstaltung unser Frühstück verhindert. Schön ... das Frühstück lecker, die Gespräche sehr gut, die Sonne erhellt unser Gemüt noch zusätzlich.
Gegen Mittag wage ich ihn dann... den Sprung ins Zürcher Einkaufsgewimmel rund um die Bahnhofstraße und ich vertrage die Menschenmassen erstaunlich gut, was vor Wochen noch undenkbar gewesen wäre und Panikattacken zur Folge gehabt hätte. Viel zu lange habe ich das doch nicht mehr gemacht. In aller Ruhe trotz Hektik um mich herum suche ich nach Kleinigkeiten für die Adventskalender der Kinder. Wie jedes Jahr füllen wir die jeweils 24 von meiner Schwester selbst gebastelten Schnee- und Weihnachtsmänner mit kleinen Überraschungen. Zu viel Süßes kommt nicht hinein, weil die Kleinen leider sehr extrem darauf reagieren. Muss ja auch nicht sein. Und ich werde fündig... von Fingerring über Zauberbad über kleine Ritter- und Piratenfiguren, Kinder-Tattoos, Malstifte bis hin zur grünen Weihnachtskrawatte mit Micky-Maus für den 24sten ist alles dabei. Die Suche ist zeitaufwändig, lohnt sich aber und macht Spaß.
Am Nachmittag bin ich dann wieder zu Hause und schon hat mich der Alltag wieder. Der Haushalt ruft zu laut, als dass ich mich getrauen würde, die Beine zu lange hochzulegen und die Seele baumeln zu lassen. Abends ist dann die ganze Familie wieder vereint, hinzu kommt noch Annikas Götti, Yannicks Götti kann leider nicht bleiben. Alles verläuft gemütlich und ruhig, das Curry zum Abendessen schlemmen alle genüsslich, ins Bett gehen die Kinder dann um acht Uhr willig. Aber da ist es dann auch schon vorbei, mein schönes Wochenende.
Gerade, als ich Annika ihren Gute-Nacht-Kuss geben will, da passiert es... mein Zwerchfell versetzt mir einen wahnsinnig schmerzhaften, anhaltenden Stich, ich kann kaum Luft holen oder mich bewegen. Hinlegen und entspannen sollte da doch helfen, denke ich zumindest. Ein Hustenanfall führt aber dazu, dass alles noch schlimmer wird. Ich kann nur noch unter höllischen Schmerzen ganz flach atmen... werde allmählich unruhiger und weiß, dass jetzt irgendwas überhaupt nicht mehr gut ist. Was ist da bloß los? Verflixt noch mal. Mein Hausarzt hat doch noch vor einigen Tagen Entwarnung gegeben. Mein Mann und unser Gast merken nach und nach, dass ich Hilfe brauche, ich kann kaum sprechen, die Luft bleibt mir weg. Ich bekomme Panik. Mein Mann ruft die Ärzte-Hotline unserer Krankenkasse an und übergibt mir das Gespräch. Mit Müh und Not kann ich der Ärztin am Telefon Auskunft geben, sie macht mir Angst, spricht von Lungenembolie. Sie fackelt nicht lange und ruft direkt die Sanität. Meine Panik wird gleich noch größer, ich will doch gar nicht ins Spital, das kann doch jetzt alles nicht wahr sein, ich will doch nur endlich zur Ruhe kommen, Hilfe, nein, bitte nicht. Als dann nach zehn Minuten schon drei Sanitäter vor mir knien, breche ich in Tränen aus, auch wenn das noch mehr Schmerzen bedeutet. Das ist nach den vergangenen Monaten und den mühsamen Erkältungswochen einfach zu viel für mich. Ich will das alles nicht.
Mein Mann fährt hinter dem Sanitätswagen her, er möchte dabei sein, worüber ich sehr froh bin. Wie gut, dass unser Besucher bei den Kindern bleibt. Die Fahrt kommt mir wie eine Ewigkeit vor, jede Kurve, jedes Holpern verstärkt für einen Moment die Schmerzen beim Atmen. Tausend Gedanken sausen durch meinen Kopf: Was ist da los? Kann das wirklich eine Embolie sein? Im Spital bleiben will ich nicht. Was, wenn ich jetzt überhaupt nicht mehr gesund werde, wenn das immer so weiter geht? Könnten am Ende doch schon irgendwelche Ableger ihr Teufelswerk in meiner Lunge verrichten? Oh nein, was dann? Nein, nein, alles in Ordnung, das ist sicher nur ein eingeklemmter Nerv oder so, das tut ja auch höllisch weh ... denke ich wenigstens, da ich in meinem bisherigen Leben immer gesund war. Bitte, bitte, lass es nur das sein. Der Sanitäter an meiner Seite lenkt mich gut ab, bringt mich sogar zum Lachen, auch wenn das weh tut. Ich beruhige mich langsam und schon sind wir im Spital.
In der Notfallaufnahme ist viel los, Wochenenden scheinen dort ja immer für Hochbetrieb zu sorgen. Stunden um Stunden vergehen und Infusionen und Untersuchungen helfen, den Schmerz erträglich werden zu lassen. Um halb vier in der Nacht dann das Abschlussgespräch mit dem zuständigen Assistenzarzt, extrem jung, er wirkt auch insgesamt nicht besonders souverän, aber das muss ja nicht bedeuten, dass er keine Ahnung hat. Er will mich über Nacht da behalten, wohl weil er nicht wirklich weiß, was mit mir nun definitiv los ist. Er lasse mich ungern mit der Möglichkeit einer Embolie nach Hause. Wir einigen uns schließlich darauf, dass ich die Blutverdünner-Spritze bekomme, für die Erkältung ein Antibiotikum, für die Schmerzen Medikamente erhalte und in einigen Stunden wieder erscheinen müsse, damit eine Oberärztin entscheiden könne, ob ein CT notwendig wäre.
Um 4 Uhr liege ich dann todmüde im Bett, ich schlafe wie ein Stein, obwohl sich nach und nach Annika und Yannick zu uns ins Bett gesellen und um halb 6 Lina nicht mehr schlafen will und erst bei uns im Bett weiterschläft. Mir egal. Ich will einfach schlafen. Um halb sieben ist die Ruhe dann vorbei, Lina schreit nach ihrer Flasche, die beiden anderen in der Folge nach ihrer Milch. Kaum sind alle drei damit versorgt, erscheint auch schon meine Retterin, mein Engel, meine Zwillingsschwester im Schlafzimmer. Sie ist gekommen und nimmt die drei Zwerge mit ins Wohnzimmer, damit mein Mann und ich noch etwas Schlaf nachholen können. Zweieinhalb Stunden werden es letztlich, oh wie tut das gut. Nach einem Mini-Zwangsfrühstück (wegen der Medikamente) düsen wir los zurück ins Spital, wo die Ärzte zum Schluss kommen, dass ich eine Brustfell- und Lungenentzündung habe, die Medikation dahingehend ändern und mich mit der Order nach Hause gehen lassen, dass ich mich ausruhe und mal ein paar Tage darauf verzichte, die Kinder hochzuheben. Oh je, das wird schwer, vor allem mit Lina, die sich mit 9 Monaten ja nur „auf-dem-Po-rutschend“ vorwärts bewegt und noch nicht selbst läuft. Zuhause angekommen spüre ich die Erschöpfung und verschlafe den ganzen Samstag. Ich bin froh, dass eine plausible Diagnose gestellt wurde. Somit erhalte ich nun die richtigen Medikamente und die als „Erkältung“ getarnte Lungenentzündung gehört in ein paar Tagen der Vergangenheit an ... hoffentlich.
Ah... fast vergesse ich zu erzählen, dass der Sonntag auch noch einen Schreckmoment bereithält. Diesmal versetzt Yannick die Familie in Unruhe. Seit Samstag hat er Fieber und starke Kopfschmerzen. Als er am Sonntag über noch stärkere Kopfschmerzen klagt und seinen Kopf weder nach vorn noch nach hinten neigen kann, klingeln alle Alarmglocken bei mir und ich denke sofort an Hirnhautentzündung. Der Arzt vom Wochenendnotdienst untersucht ihn und gibt aber Gott sei Dank Entwarnung. Bettruhe und Paracetamol sollten helfen, ihn wieder fit zu machen.
Das war es also ... mein „Wochenend’ und Sonnenschein“ ... und Notfallstation. 

26. Annabelle - ach Annabelle

Das mit den Abwehrkräften ist echt so ne Sache. Meine glänzen seit einigen Wochen durch Abwesenheit, nachdem sie mir während zehn Monaten Therapie gute Dienste erwiesen haben und mich gut „beschützt“ haben, bis vor einigen Wochen zumindest. Gestern habe ich es nicht mehr ausgehalten und habe meinen Hausarzt bekniet, mich mit Medikamenten einzudecken, damit die hartnäckige Erkältung, die tatsächlich bereits in die sechste Woche geht, endlich wieder erträglich wird. Also nehme ich nun täglich acht Medikamente, wenigstens bis die Erkältung abklingt, um dann wieder auf drei Medis täglich reduzieren zu können.
Ein oder zwei Wochen dauert es ja normalerweise, dann sind Schnupfen und Husten Vergangenheit, aber diesmal will und will es einfach nicht besser werden, im Gegenteil, es wurde die letzten Tage fast noch schlimmer, mein Brustkorb schmerzt, als wäre eine Lokomotive darüber gerollt. An erholsamen Schlaf ist seit Wochen nicht zu denken und alle Versuche, der Erkältung mit Hausmittelchen zu begegnen, sind erfolglos geblieben. Das zermürbt ungemein und eigentlich hatte ich ja gehofft, jetzt nach der Bestrahlungstherapie zur Ruhe zu kommen und Kraft für meinen beruflichen Wiedereinstieg sammeln zu können.

Warum pausiert mein Immunsystem gerade jetzt, wo ich doch mein Leben neu ordne, anpacke und zu genießen versuche? Der Doc meint, es sei ganz typisch nach solch einer Diagnose und Therapie. Über Monate hinweg sind Körper und Psyche extrem gefordert, so dass nach der Therapie ein Erschöpfungszustand eintritt.
Ist das so? Ich horche in mich hinein und versuche eine Antwort zu finden. Mhm... es stimmt schon, während der Hardcore-Phasen der Therapie war ich zielstrebig, motiviert, „kämpferisch“ (Das Wort gefällt mir eigentlich gar nicht, für alternative Vorschläge bin ich dankbar... wären „wagemutig“ oder „unverzagt“ besser?). Danach, da kam dieses Gefühl der Leere, ein Gefühl, plötzlich schutzlos zu sein. Meine Bodyguards, die Chemoinfusionen und die Bestrahlung, waren nicht mehr da, um mir dabei zu helfen, die Krebszellen fernzuhalten.
Wirklich bewusst geworden ist mir das auch heute wieder, als ich mit meinem eigenen Bild konfrontiert wurde. Die Annabelle-Reportage ist veröffentlicht und auf dem dort abgedruckten Foto sehe ich eingeschüchtert aus, verängstigt, irgendwie schutzlos. Zugegeben, am Tag des Fotoshootings habe ich mich auch ein wenig so gefühlt. Die Linse eines Profifotografen kann "frau" wohl nicht täuschen.
Morgen habe ich wieder einmal einen Termin bei meiner Psychologin, den ich zuerst absagen wollte, weil mich die Dauererkältung wirklich lahm legt. Ich bin aber zum Schluss gekommen, dass ich diese Schutzlosigkeit, dieses Gefühl der Angst, dass ich das mit Hilfe meiner Psychologin schnellstens in den Griff bekommen muss. Dann springt vielleicht auch mein Immunsystem wieder an und meine Abwehrkräfte beenden ihr von mir nicht genehmigtes Sabbatical.


25. Schreckgespenst

Gespenster haben manchmal etwas Gutes an sich, sie verschwinden zwischendurch oder lassen sich vertreiben. So hoffentlich auch mein Schreckgespenst, die Angst vor einem Wiederauftreten des Brustkrebses, vor allem so schnell nach der Chemotherapie und während meines metronomischen Chemojahres.
Gestern wurde ich im Brustzentrum ausgiebig untersucht und der Knoten war tastbar, tat auch weh, war aber nicht bildlich auffindbar. Und das bedeutet, dass es sich mit großer Wahrscheinlichkeit „nur“ um einen reaktiven Lymphknoten handelt, der auf Hochtouren arbeitet, weil mein Immunsystem nach Bestrahlungsende irgendwie schlapp gemacht hat und sich eine Pause gönnt. Ein ganzes Jahr lang war ich trotz schniefender, hustender und von vielfachen Infekten geplagter Familienmitglieder wenigstens dahingehend gesund. Mein Immunsystem wusste wohl, dass es sich aufs Wesentliche konzentrieren muss, und hat alle Reserven hochgefahren. Die Reserven sind aber scheinbar aufgebraucht, denn seit mittlerweile fünf Wochen bin ich heftig dauererkältet. Zur endgültigen Absicherung wird nun aber noch ein MRI der Brust veranlasst, um ganz sicher zu gehen.
Bianca-typisch bleibt aber ein klitzekleines Schreckgespenst im Hintergrund. Erstens hieß es auch damals im Januar, dass alles in Ordnung sei und dass es keinen Grund zur Sorge gebe. Und zweitens kann ein Lymphknoten auch deshalb reaktiv sein, weil er auf Tumorzellen im Körper reagiert. Mhm, ich versuche, meine kopflastige Seite nicht zu stark werden zu lassen und nicht sooooooo viel zu grübeln. Ich versuche es zumindest. Ändern kann ich ja sowieso nichts. Ich bleibe dran, meine Motivation, meine Intuition und meine Lebensfreude aktiv zu fördern, dann kann ich nämlich in fünf oder zehn Jahren sagen, ich hab’s gepackt. 

24. Wegdenken, wegreden...


Immer, wenn allmählich Normalität einzukehren scheint oder besser gesagt, wenn ich hoffe, dass es so ist, dann ... kommt er mal wieder ... ein Schuss vor den Bug, der jede Normalität und den Glauben an mein Happy End erneut erschüttert.
Seit zwei Tagen taste ich ihn, Knoten Nr. 2, diesmal in der anderen, in der bisher heil gebliebenen Brust. Warum? Weil ich ein Déja Vu hatte, ein Stechen ähnlich dem damals in der rechten Brust. Wieder und wieder taste ich ab, erwische mich dabei, wie ich ihn mir „wegdenke“, wie ich ihn mir „wegrede“, den Knubbel. „Nein, da ist nichts. Warte doch mal ein paar Stunden ab, dann spürst du sicher nichts mehr!“, rede ich mir wenig überzeugend selber ein. Ein paar Stunden später unter der Dusche werde ich auch schon eines Besseren belehrt. Nichts ist weg, der Knubbel noch da, und weh tut er auch. Ok, immerhin lässt sich das Wehtun mit dem energischen Abtasten vielleicht noch irgendwie erklären, aber dennoch, der Knoten bleibt und lässt sich nicht wegdenken.
Am Freitag, also übermorgen, weiß ich mehr, bin entweder erleichtert, weil ich einen der 80% „guten“ Knubbel habe, oder aber bin am Ende meiner Kräfte, weil das bedeuten würde, dass die Chemo umsonst war, weil es auch bedeuten würde, dass ich noch mal durch die Therapien müsste. Wobei, wenn die ja nichts verhindert hätten, welche Therapien blieben dann noch?
Ich bemühe mich redlich, das Ganze nicht überzubewerten, was aber aufgrund der vergangenen Monate und Erfahrungen sowas von schwierig ist. Cool bleiben, nicht aufregen, nicht immer gleich den Teufel an die Wand malen. Ich tu mein Bestes. Wie gut, dass ich drei Kinder habe, die für Ablenkung in rauen Mengen sorgen. 

23. Große Frage, große Antwort?

Die große Frage nach dem Sinn, nach dem Warum... sinnlos und dann doch auch wieder sinnvoll. Hin und wieder mache mir Gedanken darüber, warum sie mich treffen muss, diese fiese Krankheit, die mein Leben innerhalb weniger Monate auslöschen kann und meine Kinder zu Halbwaisen und meinen Mann zum Witwer machen würde. Warum nur? Dieses Warum führt mich nicht wirklich zum Aufspüren der Ursachen der Krebserkrankung, aber es führt mich an einen Punkt der Klarheit. Die Jahre vor der Diagnose waren gekennzeichnet durch Selbstverständlichkeiten. Ich nahm vieles in meinem Leben wohl zu selbstverständlich, zu sicher: Liebe, Ehe, Kinder, Familie, Freunde, Job, meine Umwelt bis ins kleinste Detail, das Leben generell und damit nicht zuletzt meine Gesundheit.

Ohne Vorwarnung kommt er dann aus dem Nichts, der Tag, der mein Leben, meine innere Sicherheit, die Selbstverständlichkeiten zum Einsturz bringt, einem Einsturz, der in vielfacher Hinsicht tiefe Wunden reißt. Meine Gesundheit wandelt sich von einem Tag zum nächsten in Krankheit, in eine Krankheit, die schleichend und unbemerkt bei mir eingezogen ist, wo ich doch nie einen Untermieter oder Mitbewohner dieser Art wollte. Wer hat dem Typ die Tür geöffnet, ihn womöglich sogar eingeladen? Am Ende gar ich selbst? Es beginnt ein Verdrängungskampf, ein Kampf ums Überleben, denn anfangs glaube ich inbrünstig, nur einer kann hier wohnen, er mit Namen Brustkrebs, der am liebsten noch weitere Mitbewohner namens Metastasen einladen würde und Partys auf meine Kosten feiern würde, oder eben ich, die Frau, die mit ihrem Mann alt werden möchte und in dreißig Jahren auf ihre Enkelkinder aufpassen will.

„Du musst kämpfen, Bianca!“ Ist Kampf das richtige Mittel? Kampf gegen die Krebszellen, Kampf ums Überleben? Kämpfen gefällt mir nicht, Kampf klingt nach Krieg, nach Feinden, nach Verlusten, nach unnötigem Leid. Bin ich das, eine Kriegerin? Nein, das will ich nicht sein. Besser erscheint es mir da, dem Herrn namens Brustkrebs nachdrücklich und immer wieder bewusst aufzuzeigen, dass das widerrechtliche Mietverhältnis nur auf Zeit oder zu meinen Konditionen besteht. Denn eins ist mal klar, man kann solch knallharte Typen nur durch knallharte Konsequenzen in ihre Schranken weisen. Welche Konsequenzen? Nun, er darf eine Weile gratis bei mir wohnen, wenn er jedoch seine Vermieterin kaputt macht, verliert er sein Zuhause und wird jämmerlich zugrunde gehen. Also sollte er sich freiwillig nach einer neuen Bleibe umsehen oder wenigstens dauerhaft ruhig bleiben und sich an meine Spielregeln halten. Daran erinnere ich ihn regelmäßig, vor allem, wenn es mal wieder irgendwo verdächtig und beängstigend zwickt oder zwackt. Die Angst, dass er nicht mitmacht und seine eigenen Spielregeln aufstellt, diese Angst bleibt dennoch.

Die Wunden, die er, mein verborgener Mitbewohner, an meinem Körper und in meiner Seele gerissen hat, sind tief und vielfältig. Da sind natürlich die offensichtlichen, die körperlichen Spuren, die die Operation, die Chemotherapie und die Bestrahlung hinterlassen haben. Sie sind und bleiben nun ein Teil von mir und auch, wenn sich mein Spiegelbild verändert hat, so sind die Wunden im Inneren doch die Größeren. Das Selbstvertrauen in den eigenen Körper zum Beispiel, das ist in die Brüche gegangen und es dauert wohl eine lange Zeit, bis es wieder gekittet ist. Wie soll ich jemals wieder meinem Körper vertrauen, nachdem er mich so tief enttäuscht hat, nachdem er etwas derart Bedrohliches in mir hat wachsen lassen, ohne dass ich es gespürt habe? Andererseits habe ich erfahren dürfen, wie stark ich bin und wie viel mehr ich hätte ertragen können. Die eigene Leistungsfähigkeit zu erfahren, das gibt auch Kraft.

Nicht nur mich selbst als Individuum hat der Brustkrebs verwundet, nein, auch meine Liebsten, also meinen Mann, meine Kinder, meine Eltern, meine Geschwister und viele mehr.
Meine Mutter ist wegen des für sie unerträglichen Kummers gestorben, ihre Wunden waren zu tief, sie konnte ihre Tochter nicht leiden sehen, sie wollte nicht miterleben, wie der Krebs ihren Enkelkindern womöglich die Mutter nimmt, sie wollte unter allen Umständen verhindern, am Grab ihrer Tochter stehen zu müssen. Davon bin ich zutiefst überzeugt. So trage ich auch daran, an der Erkenntnis, dass ich den plötzlichen Herztod meiner Mutter vielleicht nicht alleine, aber doch mitverursacht habe.

Die Wunden, die mein Untermieter an meinem Mann und meinen Kindern gerissen hat, die vermag ich meist nur zu erahnen. Wie oft in den vergangenen Monaten war ich schwach und habe als Mutter und auch Ehefrau nicht das zur Familie beitragen können, was für deren harmonisches Funktionieren nötig gewesen wäre? Wie oft war ich in meiner Höhle und wenn ich dann herauskam, unausgeglichen, launisch? Wie oft kamen mein Mann und ich an unsere Belastungsgrenzen und haben einander nicht mehr verstanden, uns voneinander distanziert? Viel zu viele Paare zerbrechen an solch einer Erkrankung und den damit verbundenen zwischenmenschlichen Herausforderungen. Und so hat jede derart tiefe Wunde auch wieder ihre gute Seite. Wenn man es schafft, sie nicht immer wieder aufzureißen, wenn man es schafft, sie erträglich werden zu lassen, weil man sich ihr stellt und sie nicht verdrängt, dann erwächst daraus etwas Wundervolles. Eine Krise erschüttert und verbindet. Bei uns ist es jedenfalls so. Wer weiß, ob wir die Auseinandersetzung mit uns als Paar gesucht hätten, wenn uns nicht der Krebs dazu gezwungen hätte. Aber so gehen wir gestärkt als Paar aus dem Desaster hervor, auch wenn es zwischendurch nicht immer danach aussah.

Mein ungebetener Untermieter hat mir auch gezeigt, wer wirklich zu mir steht, wer wirklich für mich da ist. Freunde sind Freunde, diese Gleichung relativierte sich für mich. So hat mir die Krise auch viele Menschen geschenkt, von denen ich bisher nicht wusste, dass sie mir so nahe stehen, dass sie in der Tat für mich und meine Familie da sind.

Ich merke Tag für Tag mehr, wie mich die vergangenen Monate verändert haben. Prioritäten verschieben sich radikal und so kann ich heute vieles gelassener sehen, was mich früher ungemein gestresst oder aufgeregt hätte. Die Wohnung ist nicht aufgeräumt und es kommt Besuch? Was soll's, ... wer mich daran misst, muss gar nicht erst zu Besuch kommen. Hinter mir an der Ampel hupt ein Ungeduldiger? Was soll's, ... sich aufzuregen ändert auch nichts. Ich bekomme mit, wie ein paar Leute über andere lästern? Was soll's, ... die Armen werden irgendwann vielleicht merken, wie oberflächlich sie sind. Früher hätte ich mich aufgeregt und eine böse Bemerkung losgelassen, der meinen Blutdruck ins Unendliche getrieben hätte. Heute denke ich mir, das ist es nicht wert. Allen alles Recht machen zu wollen? Allen gefallen wollen und mit allen gut auskommen? Was soll's ... man kann das Heu nicht immer auf der gleichen Bühne haben. Da ist es besser, sich selbst treu zu bleiben und das fällt mir heute viel leichter. 

Die Antwort auf die große Frage nach dem Warum ist für mich nach langen Monaten der Angst und Quälerei also von Hoffnung, Dankbarkeit und einem tiefen Sinn geprägt:

Welchen Sinn ich meine? Ich ...
... überdenke mein Leben als Ganzes und ordne es neu.
... lerne die Schönheit um mich herum bewusster wahrzunehmen.
... bin zutiefst dankbar für jede Minute, jede Stunde, jeden Tag.
... weiß nun besser, was ich will und was definitiv nicht mehr Teil meines Lebens sein soll.
... möchte das Motto „Leben und leben lassen“ nicht nur so dahinsagen.
... darf die uneingeschränkte Liebe einiger Menschen erwidern.
... erfahre, wer aufrichtiger Freund auch und gerade in schweren Zeiten ist.
... weiß, wo ich hingehöre.



Laufe nicht der Vergangenheit nach und verliere dich nicht in der Zukunft.
Die Vergangenheit ist nicht mehr. 
Die Zukunft ist noch nicht gekommen.
Das Leben ist hier und jetzt.

(Buddha)



22. Genussmomente eines Sonntags

Es gibt Dinge, die ich schon immer genossen habe, die ich aber seit meiner Diagnose und besonders seit abgeschlossener Chemotherapie in großer Dankbarkeit ganz besonders wahrnehme und genieße.
Angefangen mit der Stunde länger im Bett heute Morgen, weil man Mann um halb sieben die Kinder alleine versorgt, dann weiter mit dem langen, gemütlichen Frühstück mit 3 quietschvergnügten Kindern und einem flirtenden Ehemann, bis hin zum Latte Macchiato heute Nachmittag im Babu’s ... vor allem, weil ich ihn in romantischer Zweisamkeit mit meinem Mann und einer gemeinsamen Cremeschnitte schlemmern durfte ... im Wissen, dass die Kinder zu Hause sind und gut versorgt werden. Oder danach die wärmenden Sonnenstrahlen im Alten Botanischen Garten. Einfach faul auf einer Parkbank lümmeln, die Ruhe aufsaugen, den leichten Wind auf der Haut spüren. Soooooo schön. Auf dem Heimweg dann das wohl letzte Mal in diesem Jahr einen bunten Blumenstrauß auf einem Blumenfeld selber zusammenstellen und schneiden. Zu Hause angekommen mit Kinderlachen und Freudentänzen empfangen werden. Und jetzt um halb acht drei kleine Zwerge, die - ohne noch mal aufzustehen - bereits friedlich schlafen und hoffentlich süße Träume haben. Was zur Krönung meines Sonntags noch fehlt? Ich greife jetzt zum Skizzenblock und bringe ein paar Ideen zu Papier. Oder noch besser nach so einem Tag ... ich kuschle mich in die Arme meines Mannes auf dem Sofa und sehe mir mit ihm zusammen die Wahlergebnisse der Schweizer National- und Ständeratswahlen an, zu einem romantischen Film werde ich ihn wohl kaum überreden können. Wichtig ist, dass wir den Tag nach solch schönen Momenten zusammen ausklingen lassen.

21. Zwicke, zwacke ... Panikattacke


Die Hardcore-Therapie ist abgeschlossen. Immer wieder sagen mir Mitmenschen sinngemäß „Wow, du hast es geschafft, jetzt hast du alles hinter dir!“ Alles?
Von außen mag das so aussehen, es muss mir doch jetzt gut gehen nach dieser Tortur, mag man denken. Körperlich sehe ich wohl auch wieder fitter aus, das bekomme ich wenigstens so zu hören, viele machen mir Komplimente, die kurzen Haare und ein wenig Make-Up lassen mich jünger wirken. Ganz so einfach ist es aber nicht. Tief drinnen, da brodelt es. Keiner kann mir definitiv sagen, dass ich nun gesund bin, denn niemand weiß, ob die Chemotherapie allen Krebszellen den Garaus gemacht hat. Das lässt sich nicht messen, einen Nachweis gibt es nicht.
Wenn bloß die dämlichen Prognosen nicht wären. Statistiken können einem Hoffnung geben, aber gleichzeitig auch die knallharte Realität vor Augen führen. Und diese Realität im Nacken bleibt, auch und vor allem nach Abschluss der Therapie, bei mir zumindest ist das so. Ich bin überzeugt, ich werde lernen, damit zu leben. Die kommenden Monate und Jahre mit massiv weniger Zeit in Wartezimmern von Ärzten und Kliniken – so hoffe ich inständig – wird auch dazu beitragen, dass endlich wieder andere Themen in den Vordergrund rücken, die nichts mit Angst, Krankheit, Krebs, Tod zu tun haben. Spaß und Freude haben durchaus ihren Platz in meinem Alltag, aber Panikattacken gehören leider ebenso dazu.
Noch sitzt da das Wissen um die Gefährlichkeit von triple negativen Brustkrebszellen im Hinterkopf und klopft täglich an, um mich daran zu erinnern, das jedes wiederkehrende Zwicken oder Zwacken, jeder Husten, jeder Kopfschmerz oder Schwindel bedeuten kann, dass sich Metastasen gebildet haben, die mir dann nur noch Monate lassen. Gerade bei triple negativem Brustkrebs sind die ersten Monate nach der Therapie hochbrisant, was das Thema Metastasierung angeht. In drei Jahren kann ich mal durchschnaufen und in fünf Jahren kann ich wieder befreit atmen. Dann sinkt die Wahrscheinlichkeit markant. Warten kann zermürben.
Ach, könnte ich die Zeit doch nur vordrehen. 

20. Yabba Dabba Doo

Yippieh oder wie Fred Feuerstein zu rufen pflegt, Yabba Dabba Doo. Ich bin das erste Mal seit neun Monaten beim Haareschneiden. Und ja, ich freue mich wie ein Kind unterm Weihnachtsbaum. Viel gibt es eigentlich nicht zu schnippeln, die Haare sind zwar füllig wieder da, aber weeeeeeeiiiiiiiit von ihrer früheren Länge entfernt. Wieso ich sie nicht einfach wachsen lasse? Tja, neue Haare scheinen einen eigenen Willen zu haben, der sich darin äußert, dass sie nicht alle gleichmäßig wachsen, komischerweise unten rum schneller, über den Ohren und am Hinterkopf etwas gebremst und auf dem Oberkopf auch im Turbowachstum. Ich sehe ohne Kleister im Haar aus wie Catweazle mit Kurzhaarfrisur. Nichts gegen Catweazle, ich liebe ihn, aber sein Styling ... oh oh, dann lieber doch nicht. Bändigen lassen sie sich meine Haare also nur mit unendlich viel Gel und Haarspray, aber Einbetonieren ist für mich auch nicht Sinn und Zweck eines Stylings. Nun denn, ab unters Messer, das von Jaqueline, meiner Coiffeuse. Und in den Farbtopf wird auch gleich gegriffen, weg mit den zahlenmäßig durch den Schock und Kummer der vergangenen Monate enorm angestiegenen Grauen. Eine Tönung in meiner Naturfarbe schafft Abhilfe. Ich freue mich total über das Ergebnis, es kann sich sehen lassen, ähhh ... denke ich zumindest.
In zwei Tagen ist das Fotoshooting für die Annabelle-Reportage, ich gehe also mit frischem Aussehen und noch frischerem Selbstbewusstsein dorthin.
Die Krönung meines neu gewonnenen Glücks wäre nur noch, wenn die Blessuren der Bestrahlung auch schon verschwunden wären. Die acht hochdosierten Boosts zum Ende der Therapie haben Entzündungen und Verbrennungen hinterlassen, die momentan noch Tag für Tag schlimmer werden. Aber was soll’s, auch das geht vorüber. Irgendwann blicke ich zurück und sage mir: „War doch alles halb so wild!“ 

19. Sonne im Herzen

Endlich habe ich es mal wieder ... das Gefühl, dass alles gut wird. Seit einigen Tagen geht’s aufwärts wie lange nicht mehr. Draußen strahlt die Sonne, der Altweibersommer dringt in Herz und Seele und ich, ja, ich freue mich einfach. Vier Bestrahlungen habe ich zwar noch vor mir, aber was sind schon vier unangenehme „Termine“, wenn man dutzende hinter sich hat. Außerdem hilft die antibiotische Salbe auf der wunden Haut unter der Achsel bereits, zumindest bilde ich mir das ein. Die Nebenwirkungen von Zometa sind inzwischen auch verflogen, so dass ich mich wieder normal bewege und nicht mehr wie eine Neunzigjährige.
Gleich geht’s zum ersten Elterngespräch in den Kindergarten. Ich hoffe natürlich sehr, dass die Lehrerin nur Gutes zu berichten hat, zumindest über die emotionale Verfassung unseres Großen. Denn darüber mache ich mir nach wie vor große Sorgen: Wie viel bekommen die Kinder tatsächlich mit? Welche Spuren haben Mamis Tränen in den Kinderseelen hinterlassen? Wie sehr sind unsere Zwerge beeinträchtigt durch die vergangenen Monate mit einer Mama und einem Papa, die nicht immer die Geduldigsten waren - bedingt durch Therapien, Terminstress, Zukunftsängste, Schlafentzug.
Es kann nur besser werden. Meinem seelischen Tief habe ich in den letzten Wochen die Stirn geboten und stelle mich der Herausforderung nach wie vor aktiv. Dementsprechend bin ich zuversichtlich, dass auch die Kinder wieder ausgeglichener sein werden, denn ich bin überzeugt, sie sind ein Spiegel unseres Verhaltens und unserer Ängste, Sorgen. So gut man auch versucht, sie zu schützen, so menschlich ist es auch, dass das nicht immer funktioniert.

18. Autsch ...

Wer rastet, der rostet, oder wie war das noch mal? Heute, also am 30.9.2011, würde ich dann doch lieber rasten und rosten. Das hat zwei Gründe: Die Bestrahlung hinterlässt nun doch langsam schmerzhafte Spuren, ich mag meinen Arm, leider ist es für mich als Rechtshänderin auch noch die rechte Seite, kaum bewegen, weil ich unter den Achseln doch ziemlich wund bin und das nicht noch weiter fördern möchte.
Und der zweite Grund: Gestern war es soweit, ich habe Zometa als Infusion bekommen, etwas überraschend und sehr spontan von Onk(o)el Doc für mich. Eigentlich sollten nur meine Blutwerte kontrolliert werden, aber ehe ich mich versehe, hänge ich schon an der Infusion. Vor lauter Quatschen mit den anderen Frauen im Chemo-Stübli bekomme ich gar nicht mit, wie die Infusion an meinen Port angedockt wird, Vereisung machts möglich. Nach einer Minute fällt es mir dann doch auf und ich frage, was denn da einlaufe. Upps, heute schon? Nun ja, wie kommt es also? Die Ergebnisse der Knochendichtemessung liegen vor und da ich mich momentan durch die Chemo wahrscheinlich vorübergehend in einer verfrühten prämenopausalen Phase befinde, ist meine Knochendichte offensichtlich grenzwertig. Zwei sehr gute Gründe für Zometa, ein Mittel gegen Knochenschwund, das nebenbei auch noch in Studien eingesetzt wird, um zu beweisen, dass es etwaige „schlafende“ Krebszellen einkapselt. Ich glaube daran und bin froh, das Mittel zu bekommen. Mhm ... wie das aber so ist, Zometa hat auch unmittelbare Nebenwirkungen. Es fühlt sich an wie eine aufkommende Grippe, die Gelenke schmerzen und ich fühle mich schlapp. Das wird mich also alle sechs Monate die nächsten fünf Jahre begleiten.
Es ist irgendwie merkwürdig, nach drei Monaten wieder an der Infusion zu hängen. Ich habe sofort ein Déjà-vu, denn es erinnert so an die Monate der Chemo, zumal ich mich ja im selben Raum befinde und die anderen Frauen dort gerade ihre Chemotherapie bekommen. Auch die Nebenwirkungen fühlen sich – zumindest heute in eingeschränktem Umfang – an wie nach den Chemo-Terminen.
Während der halbstündigen Infusion lenke ich mich ab, indem ich mit den anderen Frauen und den Pflegefachfrauen plaudere, übrigens alles total sympathische Damen. Darüber hinaus bespricht Frau B., die Breast Care Nurse am Brustzentrum, noch mit mir, ob ich mich entschließen kann, Teil einer Reportage einer Schweizer Frauenzeitschrift über junge Frauen mit Brustkrebs zu werden, mit Interview und Fotos und allem, was dazugehört. Schluck, ich, die Defensive, eher Introvertierte, derart in der Öffentlichkeit?
Ich stimme zu, dass sie meine Kontaktdaten an die Journalistin weitergibt. Warum?
Mhm ... schwer zu sagen: Vielleicht ... , weil ich hoffe, dass es mein angeknackstes Selbstbewusstsein aufpoliert, ... weil ich glaube, dadurch Spuren zu hinterlassen, ... weil ich annehme, Kontakt zu anderen Frauen in meiner Lage zu bekommen, ... weil ich mittlerweile weiß, dass die Auseinandersetzung mit mir und meinem eigenen Schicksal mir bei der Verarbeitung des Ganzen hilft und ... vor allem, um auch junge Frauen wachzurütteln, ihre Brust regelmässig abzutasten? Hätte ich meine nicht abgetastet, wäre ich ganz realistisch jetzt vielleicht schon nicht mehr hier im Diesseits oder wäre zumindest bereits auf dem sicheren Weg ins Jenseits. Was die Reportage angeht, nun ja, ich werde wohl schon bald wissen, ob sie mit meiner Teilnahme stattfindet oder ohne mich.
Wie dem auch sei ... genug gejammert und gegrübelt ... der Alltag mit Kleinkinder-Haushalt und - wie soll es auch anders sein - Terminvereinbarungen wartet ebenso wie ein kleiner Mann, der gleich aus dem Kindergarten kommt und sicher viel zu erzählen hat. 

17. Für die Seele

Mhm .... Zeit, mal wieder etwas über meine Befindlichkeit zu verfassen? Ich habe mich schon länger nicht mehr mitgeteilt. Eigentlich ist gerade kein guter, vor allem kein kreativer Zeitpunkt, denn momentan fühle ich mich nicht besonders mitteilungsbedürftig. Die langen Monate der noch andauernden Therapie, die Chemo-Medikamente mit all ihren Nebenwirkungen und der Alltag mit drei kleinen Kindern im Wissen um die möglichen Folgen meiner Krankheit haben zu tiefe Spuren in meiner Seele hinterlassen. Ich habe aber Maßnahmen ergriffen, um wieder aus meinem dunklen Loch zu krabbeln, rauszuspringen erscheint zu schwer, auch wenn es schneller ginge. Also ziehe ich mich mithilfe von Akupunktur, Hypnose, Medikamenten, meiner Familie und meinen Freunden und ganz wichtig .... mithilfe von Musik aus meiner Höhle. Jeder von uns hat hoffentlich für sich DAS EINE Lied gefunden, das ihn tief in der Seele berührt, das ihn träumen lässt oder bestenfalls aufbaut. ICH habe es gefunden, vor etwa zehn Jahren. Und seitdem begleitet mich dieses Lied durch Höhen und Tiefen, denn es gibt mir Kraft, lässt mich abschalten, lässt mich träumen und glücklich sein. Und immer wenn ich den Wind auf meiner Haut spüre, dann denke ich daran und fühle mich besser - so wie jetzt gerade.

Einfach mal reinhören, hier, bitte, und mit mir fliegen und träumen .... Sous le vent - Garou und Celine Dion (Youtube)


Sous Le Vent

Et si tu crois que j`ai eu peur - C`est faux - Je donne des vacances à mon cœur - Un peu de repos
Et si tu crois que j`ai eu tort - Attends - Respire un peu le souffle d`or - Qui me pousse en avant
Et
Fais comme si j`avais pris la mer - J`ai sorti la grand`voile - Et j`ai glissé sous le vent
Fais comme si je quittais la terre - J`ai trouvé mon étoile - Je l`ai suivie un instant
Sous le vent
Et si tu crois que c`est fini - Jamais - C`est juste une pause, un répit - Après les dangers
Et si tu crois que je t`oublie - Écoute - Ouvre ton corps aux vents de la nuit - Ferme les yeux
Et
Fais comme si j`avais pris la mer - J`ai sorti la grand`voile - Et j`ai glissé sous le vent
Fais comme si je quittais la terre - J`ai trouvé mon étoile - Je l`ai suivie un instant
Sous le vent
Et si tu crois que c`est fini - Jamais - C`est juste une pause, un répit - Après les dangers
Fais comme si j`avais pris la mer - J`ai sorti la grand`voile - Et j`ai glissé sous le vent
Fais comme si je quittais la terre - J`ai trouvé mon étoile - Je l`ai suivie un instant
Sous le vent
Sous le vent


Sous Le Vent (frei übersetzt ins Deutsche mit Biancas verkümmerten Restkenntnissen in Französisch)


Und wenn du denkst, ich hatte Angst - Das ist falsch - Ich gebe meinem Herzen Urlaub - Ein wenig Ruhe
Und wenn du denkst, ich hatte Unrecht - Warte - Atme ein wenig den Hauch von Gold - Der mich vorwärts treibt
Und
Tu so, als wäre ich in See gestochen - Als hätte ich das Großsegel gehisst - Und wäre im Wind geglitten
Tu so, als hätte ich die Erde verlassen - Ich hätte meinen Stern gefunden - Ich wäre ihm einen Moment gefolgt
Im Wind
Und wenn du denkst, es ist zu Ende - Niemals - Es ist nur eine Pause, eine Atempause - Nach den Gefahren
Und wenn du denkst, ich hätte dich vergessen - Hör zu - Öffne dich im Wind der Nacht - Schließ deine Augen
Und
Tu so, als wäre ich in See gestochen - Als hätte ich das Großsegel gehisst - Und wäre im Wind geglitten
Tu so, als hätte ich die Erde verlassen - Ich hätte meinen Stern gefunden - Ich wäre ihm einen Moment gefolgt
Im Wind
Und wenn du denkst, es ist zu Ende - Niemals - Es ist nur eine Pause, eine Atempause - Nach den Gefahren
Tu so, als wäre ich in See gestochen - Als hätte ich das Großsegel gehisst - Und wäre im Wind geglitten
Tu so, als hätte ich die Erde verlassen - Ich hätte meinen Stern gefunden - Ich wäre ihm einen Moment gefolgt
Im Wind
Im Wind



16. Wie geht es dir?

Eigentlich gut, danke, und dir? Schnell gesagt, unproblematisch das Gesicht gewahrt, diplomatisch vermieden, jemanden in Verlegenheit zu bringen. Denn im Grunde erwarten wohl tatsächlich nur wenige Menschen, dass das Gegenüber sagt, es gehe schlecht, man fühle sich kraftlos und wisse gar nicht genau, warum. Strategisch besser erscheint "Gut, danke" darüber hinaus, weil Tipps und Ratschläge vielleicht auch gerade schwer zu ertragen sind, ein einfaches „Ich verstehe dich“ oder „Komm, lass dich in den Arm nehmen“ oder „Lass dich ruhig mal gehen“, das wäre hilfreich, erweist sich aber als zu hohe Erwartungshaltung.
In den letzten Tagen habe ich mich dann gezwungenermaßen näher mit meinem Energielevel trotz „Geht gut, danke.“ auseinandergesetzt. Innere Konflikte sind das eine, aber wenn daraus äußere Konflikte resultieren, dann ist es höchste Zeit, die Ursache anzupacken. Wiederkehrende Konfliktsituationen innerhalb der Familie, teils auch bedingt durch meine nun zu lange anhaltende Unausgeglichenheit, das Unverständnis auf Seiten aller Beteiligten, warum kleine und große Familienmitglieder seit Monaten so schnell „flippen“, hysterisch werden oder sich – im anderen Extrem – „in ihre Höhle“ zurückziehen, machten eine Auseinandersetzung mit der aktuellen Energie- und Gefühlslage also unabdingbar.
Bei meinen Gesprächen mit meiner Psychologin kommt für mich klar zum Vorschein, wie sehr man in Krisensituationen Gefühle verdrängt, um die Fassade aufrecht zu erhalten. Auch ich mache das, ... bewusst oder unbewusst versuche ich, das Gesicht zu wahren, stark zu erscheinen, obwohl ich mich, wenn ich ehrlich zu mir selbst bin, zwar nicht permanent, aber doch zu oft schwach, innerlich zerrissen, kraftlos, mutlos, müde, leer fühle und dann auch schnell aus der Fassung zu bringen bin.
Wie kann ich auch meinen Mitmenschen klar machen, was in mir vorgeht, wenn ich es doch selbst oft nicht weiß oder einordnen kann? Wie kann sich jemand in meine Lage versetzen, der nicht in meiner Lage ist oder war? Geht das überhaupt? Das ist vergleichbar mit der Wer-wird-Millionär-Situation. Der Kandidat im Fernsehen hat ein Brett vorm Kopf, kommt bei den einfachsten Fragen ins Schwimmen, während unsereins zu Hause denkt: „Oh Mann, wie hat der es denn in die Sendung geschafft, das ist doch ne Frage für Erstklässler.“ Aber eben, unsereins sitzt auf dem Sofa, nicht im Scheinwerferlicht und Günther Jauch gegenüber, der noch fast jeden Kandidaten aus dem Konzept gebracht hat. Umso mehr versuche ich Kontakt zu knüpfen zu Frauen in ähnlicher Situation wie ich, denn ihnen fühle ich mich auf eine tiefe Art verbunden.
Sich häufende schlaflose Nächte trotz bleierner Müdigkeit durch die Bestrahlung, wie geht das? Bleiern müde – schlaflos – was denn nun? Ja doch, beides. Todmüde ins Bett zu sinken und sich dann unruhig hin und her zu drehen, nach Luft zu schnappen, das Gefühl zu haben, wenn man die Augen schließt, erdrückt einen ein tonnenschwerer Klotz, das sind viele meiner Nächte. Depressionen??? Ich doch nicht. Mhm... oder vielleicht doch? Würde es helfen, einfach täglich ein paar Pillen mehr zu schlucken zu den üblichen schon verordneten? Und die Stigmatisierung? Mhm... immer noch ein Problem in unserer Gesellschaft. Darum schreibe ich das hier auch. Ich will mich nicht verstecken, ich will raus und leben ... so wie ich nun mal eben gerade bin, meine Schwächen in Stärken umwandeln, uneingeschränkt glücklich sein und wieder die Mami, Ehefrau und Frau, die ich immer sein wollte.
... Und aus tiefstem Herzen sagen können: „Danke, fantastisch, und dir?“

15. Leben nach dem Tod?

Zwei Ereignisse in diesem Jahr bringen mich dazu, intensiv und differenziert darüber nachzudenken, was denn nach dem Tod kommt. Einerseits ist da meine Krankheit, die mir meine Endlichkeit schmerzhaft plötzlich vor Augen führt und andererseits ist da der Verlust meiner geliebten Mama.
Viele Menschen scheuen vor diesem Thema zurück, ich in meinem bisherigen Leben auch. Zu hören bekomme ich in letzter Zeit häufig, dass ich mir das Thema nicht so stark vor Augen führen sollte. Man könne auch den Teufel an die Wand malen. Andere wiederum gehen sehr sachlich mit dem Sterben um oder meinen, ich solle den Gedanken zulassen.
Und ich? Wie bei allem, was meine Gefühle seit der Diagnose angeht, erlebe ich auch bei diesem Thema eine Berg- und Talfahrt. Mal verzweifle ich schier bei dem Gedanken, früh, zu früh und damit schon bald abtreten zu müssen, falls sich Metastasen bilden sollten. Dann wieder setze ich mich sachlich und distanziert mit meiner eigenen Sterblichkeit auseinander oder ich bläue mir ein, dass ich neunzig werde, denn daran will ich glauben.

Was passiert nun also, wenn wir sterben?
Die gläubigen Christen werden darauf hoffen, eines Tages das Himmelreich Gottes zu erfahren, werden vielleicht aber auch Angst vor dem Fegefeuer haben. Ich glaube weder an das eine, noch an das andere. Meinen christlichen Glauben habe ich bereits vor Jahren nach und nach verloren und im Jahr 2011 gänzlich. Dennoch nehme ich die Gebete für mich von meinen gläubigen Mitmenschen dankbar an. Ein heuchlerischer Widerspruch? Vielleicht, aber jeder, der für mich betet, zieht daraus nebst der Wünsche für mich auch selbst Kraft für sich und bekommt ein gutes Gefühl, sonst würde sie/er es ja nicht machen.
Die Vorstellungen der großen Weltreligionen über das Sterben unterscheiden sich doch sehr stark. Welche hat also Recht? Buddhismus mit Wiedergeburt, Christentum und Islam mit Himmel und Hölle, Judentum mit Auferstehung der Toten? Mein Verstand sagt mir, keine dieser Vorstellungen wird sich bewahrheiten.
Viel gelesen habe ich in letzter Zeit über Nahtoderlebnisse, also Erinnerungen von Menschen die bereits klinisch tot waren und ins Leben zurückgeholt wurden. Einheitlich wird da berichtet, dass sich die Sterbenden selbst gesehen haben, wie sie da liegen und reanimiert werden. Auch die Ärzte, Sanitäter oder andere Personen, die dabei sind, werden teils detailliert beschrieben. Das spricht für die These, dass sich unsere Seele von unserem Körper löst und fortbesteht, zumindest für eine Weile. Die Aussage der meisten „Zurückgeholten“, dass sie sich während ihres Sterbens wohl fühlten und keinen Drang verspürten, zurückzukehren, ist tröstlich. Was ist aber mit dem Schmerz, den man im irdischen Leben bei seinen Liebsten zurücklässt?
Dann setzt sich da aber auch immer wieder meine rationale Seite durch, die derartige Nahtoderlebnisse mit letzten Nervenreaktionen zu erklären versucht. Tief in meinem Innersten erscheint es mir logischer, dass da nichts ist, wenn wir sterben. Einfach ausgeknipst sozusagen. Jeder, der mal bewusstlos war, kennt das Gefühl, weg gewesen zu sein. Weshalb sollten wir also bei Bewusstsein bleiben, wenn wir doch in anderen körperlich extremen Situationen das Bewusstsein verlieren?
Letztlich werden wir es irgendwann wissen, oder eben auch nicht, sofern wir einfach ausgeknipst werden.


PS: Danke an fufi für seine weiterführenden Gedanken zu meinem Blog-Post.
fufi's Lounge: Versuch einer Antwort auf eine unbeantwortbare Frage

14. Höchste Zeit für ein Dankeschön

Höchste Zeit, mal von Herzen DANKE zu sagen an ...

Patrick - für deine Liebe und Unterstützung und dein Verständnis tagtäglich
Yannick, Annika und Lina - für euer Lachen und eure Fröhlichkeit
Mama (in Liebe und tiefer Trauer) und Papa – dafür, dass ihr immer in den Startlöchern standet und mehrmals da wart und du, Papa, immer noch da bist
Kerstin* – für deine Hilfe an den vielen Abenden und den Wochenenden
Christine und Harald für eure intensive Unterstützung in den Wochen nach der Diagnose
Steffi und Dani –  fürs Helfen während/nach der fünften Chemo
Kathi und Michi – fürs Helfen während eures Besuches im März
Rosmarie und Urs – für euren Spielplatzeinsatz nach der achten Chemo
Tante Resi und Onkel Jupp – fürs Helfen während eures Besuches im September
Monika* – für deinen Dauereinsatz als Babysitterin nicht nur tagsüber
Vivi – für deine regelmäßigen Hilfseinsätze bei den Kindern und im Haushalt
Frenzi – fürs Hüten von Lina
Ursula – für deine Nachbarschaftshilfe mit allen drei Kindern
Susen* – für die vielen Massagen
Andrea von OnkoFamilyCare – fürs Aufpassen auf die Zwerge
Stephanie dafür, dass du immer wieder notfallmäßig als Babysitter-Ersatz einspringst
Rémy – fürs Kinderhüten
Sonia und Tobias – fürs Kinderhüten
Jasmine – fürs Kinderhüten
Steffi und Ruth – fürs Kinderhüten
Gaby – für deine Unterstützung und Anteilnahme über die Akupunktur hinaus
Mirjam, Sabine, Verena, Tante Renate, Sigrid – fürs Kümmern um die Kinder am Tag von Mamas Verabschiedungsfeier/Beerdigung
*noch mal Kerstin, Susen und Monika – fürs Ermöglichen eines kinderfreien Wochenendes für Patrick und mich
Kita Fugu – für das mehrfache Entgegenkommen beim Verschieben von Betreuungstagen
Die Ärzte des Unispitals, des Triemli-Spitals und des Brustzentrums – für ihre Fachkompetenz und ihre Empathie
Die Pflegefachkräfte des Unispitals, des Triemli-Spitals und des Brustzentrums – fürs Auffangen, fürs Zuhören, fürs Überstunden-Machen, fürs Helfen in vielen Belangen, für die gute Laune und für jedes Lächeln
Fabienne, Kasia B., Sophie, Tante Renate, Andrea und Enrique, Frau Leone – für euer ernst gemeintes Angebot, uns zu helfen
Alle hier nicht erwähnten Verwandten, Freunde und Bekannten – für euer Interesse und euer offenes Ohr und auch euer Verständnis, falls ich euch oder eure Hilfe hier vergessen haben sollte



Danke, danke, danke, ... ihr seid das Netz, das mich auffängt und mir Sicherheit gibt. 

(Regensdorf, am 9. August 2011)

13. Leben wie zuvor?

Kein zurück
Ringen um Luft
Einigeln
Benebelt sein
Schicksal

Mut finden
Ausrasten
Chemotherapie ertragen
Hoffnung schöpfen
Trauma verarbeiten

Ausgeliefert sein
Neu ordnen
Gemeinschaft
Selbstzweifel
Tiefer Sinn
(bqf, 2011)

(Korfu 2006)

12. Meine Perücke und ich

Meine Perücke und ich, wir haben ein ziemlich seltsames Verhältnis zueinander. Begonnen hat unsere Beziehung am 26. Februar 2011, da hatte ich das Vergnügen oder sinnvoller das notwendige Übel, mir ein Modell auszusuchen, das zu mir passt. Muss es überhaupt eine Perücke sein? Es gibt mehr als genug mutige Frauen in meiner Situation, die mit Glatze, Tuch, Hut oder Mütze auf die Straße gehen, was ich bewundernswert finde und wenn ich heute Frauen mit totalem Haarverlust sehe, dann fühle ich mich ihnen unweigerlich sehr verbunden. Leider bin ich selbst nicht so mutig. Ich fühle mich nicht schön, meine Kopfform passt nicht zu Haarlosigkeit, ich fühle mich nackt und ausgestellt und abgesehen davon friere ich ohne Haare.

Zurück zum 26. Februar: Meine Schwester fährt mit mir nach Stuttgart, eine alte Schulfreundin besuchen und bei der Gelegenheit in Deutschland eine Perücke kaufen. Warum nicht in der Schweiz? Nun ja, das Hochpreisland Schweiz ist auch in Sachen Perücken teuer. Und da ich aus Gründen der Praktikabilität keine angepasste Echthaarperücke möchte, sondern ein fertiges Synthetikmodell, bietet es sich an, ins günstigere Ausland zu fahren. Dann bleiben mir noch Mittel übrig, um Tücher, Kappen und andere Kopfbedeckungen zu erstehen. Die Kosten dafür übernimmt die IV bis zu einem Betrag von 1500 Franken.

Ich weiß schon jetzt, dass ich sie nur draußen tragen werde. Zu Hause werden entweder Tücher und Kappen mein Haupt schmücken oder ich setze auf pure Natürlichkeit. Wir finden den Laden und ich probiere eine nach der anderen auf. Es wird schnell klar, dass ich mir und meiner alten Frisur annähernd treu bleiben muss. Kurzhaarfrisur? Arrrglllll ... sehe aus wie sechzig, trotz modernem Schnitt. Farbwechsel gefällig? Rot, blond, schwarz vielleicht? Mmpfff ... blass, blasser, am blassesten. Ich nehme also letztlich sozusagen mein altes Ich, schulterlange, hellbraune, mit einigen blonden Strähnchen durchzogene glatte Haare.

Gerne trage ich sie nicht, meine Perücke, auch wenn sie den Schein wahrt und mir dadurch von außen nicht jeder gleich anmerkt, dass eine Chemo über mein Leben bestimmt. Ständig habe ich das Gefühl, ich müsste sie zurechtrücken. Was ist, wenn sie mir einfach vom Kopf schnalzt, wegspickt, wenn ich es nicht erwarte? Ich lache mich tot bei diesem Bild vor Augen, aber die Peinlichkeit möchte ich mir doch lieber ersparen.

Die Kinder sehen mich mehrheitlich ohne Kopfbedeckung. Yannick erzählt dann auch allen Bekannten, die uns draußen begegnen, dass Mamis Haare nicht „richtig“ seien, dass es eine Perücke sei, weil Mami Medikamente nehmen müsse. Er scheint fast ein bisschen stolz darauf zu sein. Beim ersten Mal muss ich loslachen, als ich das Gesicht der Person sehe, die diese kindliche Sicht serviert bekommt.

Sie sind wieder da ... meine Haare. Sie haben seltsamerweise schon wieder begonnen zu wachsen, als ich noch mitten in der Chemo steckte. Ich hatte mit einer viel länger dauernden haarlosen Zeit gerechnet. Anfangs traue ich mich nicht, mit den kurzen Stoppeln nach draußen zu gehen, meine Perücke gibt mir Sicherheit. Doch etwa Mitte August überredet mich mein Mann, es doch zu versuchen und über meinen Schatten zu springen. Er findet, es sehe gut aus. Nun ja, meine Meinung ist das nicht, die Haare sind noch weit davon entfernt, Frisur genannt werden zu können, aber ich mach’s, raus in die Welt mit Bubikopf. Mein Selbstbewusstsein wird überraschenderweise stärker dadurch. Subjektiv gesehen fühle ich mich permanent beobachtet, obwohl das wahrscheinlich gar nicht so ist, aber mit hoch erhobenem Kopf trotze ich den vermeintlich neugierigen Blicken.

In Verlegenheit bringe ich eine Migros-Kassiererin (oder eher sie mich?), die das Foto auf meiner Kreditkarte begutachtet, auf dem ich natürlich noch mit langen Haaren zu sehen bin. Ihr freundlich gemeinter, aber dennoch zu persönlicher Rat „Die langen Haare stehen Ihnen aber besser!“ wird von mir mit Ehrlichkeit kommentiert, nämlich, dass ich ihrer Meinung sei, aber nichts daran ändern könne, eine Chemotherapie bringe das so mit sich. Oh je, die arme Frau wird nie mehr etwas Persönliches oder Spontanes zu Kunden sagen, ihr Gesicht glüht in tiefstem Rot und sie hört gar nicht mehr auf, sich bei mir zu entschuldigen, betont, wie dumm sie sich fühle und wie unendlich peinlich ihr das sei. Nun ja, da haben wir beide mit unseren Äußerungen wohl etwas übers Ziel hinausgeschossen, sie tut mir im Nachhinein leid, hatte sie es doch wahrscheinlich nur nett gemeint.

Zeit, sich zu verabschieden, von dir, meiner Perücke ...

 

Leb wohl! Du hast mir in einer schweren Zeit wahrlich geholfen, es war oft wahnsinnig lustig mit dir, aber du hast mir auch unnötig Angst gemacht, Angst, dich ausgerechnet dann zu verlieren, wenn ich dich am dringendsten bräuchte. Es ist deshalb nur konsequent, unsere Beziehung hiermit zu beenden. So ist das nun mal mit Lebensabschnittspartnern. Bilde dir ja nicht ein, du könntest in mein Leben zurückkehren. „Lass uns Freunde bleiben!“ -  das klappt doch eh nicht. Mach dir also bitte keine Hoffnungen. Ich gehe meinen Weg fortan ohne dich. 

11. On the road again - Die Bestrahlung

Montags bis freitags täglich sieben Wochen lang düse ich zwischen meinem Wohnort im Züri Unterland und dem Triemli-Spital in Zürich hin und her, Fahrzeit für Hin- und Rückweg je nach Wahl des Verkehrsmittels zusammen ein bis zwei Stunden, Bestrahlungsdauer 2 Minuten, inklusive Vorbereitung zehn Minuten. Die Fachleute dort sind mir sehr entgegengekommen und haben mich bis auf wenige Ausnahmen vormittags eingeteilt, damit ich weniger Probleme habe, die Kinderbetreuung zu organisieren. Yannick ist seit einer Woche stolzes Kindergarten-Kind und somit vormittags betreut. Die zwei Mädels gehen an drei Tagen in der Woche in die Kinderkrippe, so dass ich nur noch für zwei Wochentage jemanden suchen muss, der auf sie aufpasst. Ich bin heilfroh, dass sich einige Freunde und Nachbarn bereit erklären, mir zu helfen.

Die Bestrahlungen sind in vollem Gange, fünf von dreiunddreißig habe ich bereits absolviert.
Inzwischen gewöhne ich mich daran, obwohl ich anfangs riesige Angst davor hatte, mehr sogar als vor der Chemotherapie. Wovor genau kann ich nicht mal sagen. Respekt habe ich vor den Geräten, die wie überdimensionale Roboter aussehen. Schon der Name der Abteilung im Spital lässt mich schaudern: Klinik für Radio-Onkologie und Nuklearmedizin. Etwas Unsichtbares, nicht Greifbares wirkt da auf einen ein. Vor Beginn des Bestrahlungsmarathons werde ich dreidimensional ausgemessen, ein Computertomograph surrt um mich herum, sicher zwanzig Minuten. Am Ende spüre ich meine Arme nicht mehr, ich muss sie ruhig nach oben halten und deshalb sind sie komplett eingeschlafen und taub. Ein paar Tage später sehe ich dann aus wie ein abstraktes Kunstwerk, weil man meinen gesamten Oberkörper mit Edding markiert hat. Die Markierungen helfen, mich tagtäglich millimetergenau zu positionieren, damit nicht fälschlicherweise zuviel von der Lunge bestrahlt wird. Die Bestrahlungen sollen die Wahrscheinlichkeit eines Rückfalls in der operierten Brust verringern.

Ein ganz banales Alltagsproblem lässt mich die Tage vor dem Start der Therapie immer wieder grübeln. Wie soll ich um Himmels Willen die folgenden Wochen ohne Deo überstehen? Viele mögen jetzt die Augen verdrehen und sagen: „Hat die Frau keine größeren Probleme?“ Doch, die habe ich, aber auch banale Probleme wie ein Deo-Verbot können einen verrückt machen. Draußen herrschen gerade Temperaturen um die 30 Grad und mehr. Wenigstens darf ich duschen, aber auch da sollte ich nicht übertreiben. Die Tatsache, dass derartige Problemchen wieder in mein Bewusstsein rücken, zeigt schon, dass ich auf dem Wege der Besserung bin, Besserung im Sinne von Zuversicht, Motivation und langsamer Rückkehr zur Normalität. I'm on the road again.

10. Plan B - Metronomische Chemo mit Tabletten

Es ist der 11. August 2011, an dem ich wieder eine meiner Hürden überspringe. Acht Chemozyklen ... ich habe sie hinter mich gebracht. Erfolgreich? Das kann leider niemand nachprüfen, schön wäre es, zu wissen, ob ..., nein eher, dass ...
Mhm... jetzt kommt das Absurde daran: Die meisten meiner Mitmenschen sagen mir, du musst erleichtert sein, du hast es geschafft, das Schlimmste hast du überstanden.
Nun ja, das bin halt mal wieder ich, ganz typisch, ich ticke manchmal anders: Ich bin traurig, verängstigt, fühle mich wie im luftleeren Raum, dass die Chemozeit so schnell vorbei ging. Warum? So sicher werde ich wohl nie mehr in meinem Leben sein. Die Wahrscheinlichkeit, dass während der Chemo ein neuer Tumor und/oder Metas gebildet werden, ist eher gering, aber danach ... ja, da erholen sich die Zellen und damit auch die unter Umständen resistenten Krebszellen. Klar, die operierte Brustseite wird noch bestrahlt, aber eben nur die Brust, nicht der ganze Körper. Was, wenn da schon ein paar fiese Schläferzellen irgendwo im Knochenmark oder im Gehirn sitzen und darauf warten, loszuschlagen? Die muss ich jetzt bekämpfen, auch prophylaktisch, nicht erst, wenn sich weitere Abgründe auftun und meine Lebenserwartung um ein paar Jahrzehnte runterschrauben.
Ich beschließe, meine Internetrecherche zum Thema zu vertiefen und meinen Onkologen zu beschwatzen, noch mehr zu machen. Ich halte viel aus, körperlich wenigstens, das habe ich in den vergangenen Monaten bewiesen.
Ich stoße auf unzählige Studien, die meisten unbrauchbar, aber da sind zwei, die mich hellhörig werden lassen. Blöd ist nur, dass die Kosten dieser Therapien erst von der Krankenkasse übernommen werden, wenn schon Metastasen vorhanden sind. Aber, mal ganz nüchtern gesagt, für 4 Monate mehr Leben will ich das Zeug nicht erst haben, sondern lieber jetzt, damit es gar nicht erst so weit kommt.
Der arme Doc, ich beschwatze ihn ohne Gnade, und die Ernüchterung folgt schnell. Meine Vorschläge machen aus seiner Sicht wenig Sinn, aber er ließe sich auf eine der beiden Therapien ein, auch wenn er der Meinung sei, dass es sich dabei nur um professurale Selbstbefriedigung handle. Schließlich seien manchen Forschungsgruppen Gelder zugesprochen worden, die noch ausgegeben werden müssten, und Forschung begebe sich oft auch in den Leerlauf, denn schließlich wolle Herr oder Frau Doktor auch noch habilitieren, eine Professur sei erstrebenswert und lukrativ, also müsse man veröffentlichen, ob es nun sinnvoll sei oder nicht.
Vielleicht hat er ja Recht, ich bin ja auch der Meinung, dass Hardcore-Akademiker manchmal den Blick fürs wirklich Praktikable verlieren. Aber ich habe dazu noch eine Dokumentation auf Arte gesehen, die bei mir den Eindruck hinterließ, dass die Risiko-Nutzen-Abwägung zu meinen Gunsten ausfallen würde. Wovon ich rede? Von jährlich zwei Infusionen mit einem Mittel gegen Knochenschwund (Zometa), das etwaige Schläferzellen einkapseln soll. Die Universität Essen verzeichnet damit nachweisbar Erfolge. Leider gibt es da auch ein paar Nebenwirkungen, ähnlich denen nach Chemo-Infusionen. Meinen Zahnarzt sollte ich dann auch noch informieren, denn während der Behandlung, die mehrere Jahre dauert, sollte bei Zahn-OPs immer mit Antibiotika behandelt werden, sonst könnte mein Kieferknochen „zerbröseln“, Kiefernekrose nennt sich das dann und das wäre sicher nicht gut für die Lebensqualität. Die Kosten? Die halten sich im Rahmen und die etwa 1000 bis 1500 Franken im Jahr zusätzlich werden wir hinbekommen. Demnächst wird meine Knochendichte gemessen und dann bestimmen wir den Zeitpunkt der Infusionen.
Onk(o)el Doc schlägt darüber hinaus vor, dass ich für ein Jahr metronomisch Chemo machen könnte, das heißt niedrig dosiert (zumindest niedriger als die Infus) zwei Zytostatika in Tablettenform, leider täglich. Der nüchterne Wissenschaftler in ihm betont, dass es sich dabei um ein wissenschaftlich nicht nachgewiesenes Erfolgsrezept handle, aber seine Erfahrung damit sei sehr gut und er würde mir damit nicht schaden, denn das wolle er ja gerade verhindern. Ich stimme zu, denn das kommt meinem Sicherheitsbedürfnis natürlich sehr entgegen, die Krebszellen kommen für ein Jahr unter Dauerbeschuss, ohne Pause. Leider bedeutet das andererseits, dass ich häufiger kontrolliert werden muss, vor allem meine Nierenwerte, weil die Medis den Nieren heftig zusetzen können.
Ich bin froh, dass jetzt endlich entschieden ist, wie es weitergeht, denn die Suche nach Möglichkeiten ist zeitaufwändig, anstrengend, eheschädigend und zermürbend.
Jetzt kann ich nach vorne blicken und auf meine Art auch neuen Mut fassen, denn der ist - nein besser war - mir zwischenzeitlich immer wieder abhanden gekommen.

9. Die schwarze Wolke (Rückblick)

Unbeweglich, gnadenlos und ohne einen Windhauch von Hoffnung bleibt sie über mir, die große schwarze Wolke. Sie bewegt sich keinen Millimeter und hängt bedrohlich über meinem Leben. Der 20. Mai 2011 ist ein sonniger Tag, der zunächst gut beginnt und nicht erahnen lässt, was am Abend noch folgen wird.
Vier von acht Chemozyklen habe ich hinter mir, der Countdown zurück ins chemofreie Leben beginnt. Am Mittag kommt dann Frau Külling von Onko Family Care vorbei, einer Organisation, die Familien mit an Krebs erkrankten Kindern oder Eltern unterstützt. Diese starke und wahnsinnig charismatische Frau verlor vor wenigen Jahren ihren an Krebs erkrankten 10-jährigen Sohn. Sie strahlt eine empathische Wärme aus und eine Lebensenergie, die sich auf mich überträgt. Sie will für mich eine freiwillige BegleiterIn organisieren und mich damit einmal pro Woche für einige Stunden entlasten, damit ich mal wieder etwas für mich tun kann, mal abschalten kann. Das Gespräch mit ihr baut mich auf, ich fühle mich verstanden und bin beeindruckt von Frau Küllings Tatkraft und Engagement vor allem angesichts ihres eigenen tragischen Schicksals.
Mein eigenes Schicksal unterzieht mich wenige Stunden später einer harten Prüfung.

Wir sind gerade dabei, die Kinder zu Bett zu bringen, meine Zwillingsschwester ist auch bei uns und erzählt noch eine Gute-Nacht-Geschichte. Da höre ich meinen Mann am Telefon sagen, dass ich gerade verhindert sei wegen der Kinder. Aber der Anrufer will mir gleich etwas sagen und kann nicht auf meinen Rückruf warten. Mein großer Bruder ist dran und bittet mich darum, mich hinzusetzen. Er teilt mir unter Tränen und mit Schmerz in der Stimme mit, dass Mama vor einer halben Stunde gestorben ist. Ich wiederhole schluchzend seine Worte für meine Schwester, beide sacken wir zusammen, der Schmerz ist unbeschreiblich. Mama, die immer bedingungslos für mich da war, auch in den vergangenen Monaten seit der Diagnose, Mama, die uns immer unseren frei gewählten Weg hat gehen lassen, soll nicht mehr da sein? Sie ist an gebrochenem Herzen gestorben, Ärzte nennen es Herzinfarkt, ich aber nenne es Herztod, verursacht durch meinen Krebs. Sie hat es nicht verwunden, dass ihr Kind diese Diagnose erhalten hat und vielleicht vor ihr sterben könnte, dass ihre geliebten Enkelkinder ohne ihre Mama aufwachsen könnten, sie hat mir nie wirklich geglaubt, dass ich das schon schaffen werde. Seit der Diagnose war sie ein anderer Mensch, gebrochen und ohne Lebenswillen.

Meine Schwester und ich fahren noch in der Nacht los, im Schockzustand fünfhundert Kilometer, um Mama noch einmal zu sehen, um bei Papa zu sein und um Totenwache zu halten, wie es im katholischen Bayern üblich ist. Die Fahrt überstehe ich wie im Delirium. Weit nach Mitternacht in Bayern angekommen traue ich mich erst nicht, mein Elternhaus zu betreten. Papa kommt heraus und wir fallen uns verzweifelt in die Arme. Mein Bruder und seine ganze Familie sind da, wir geben uns gegenseitig die nötige Kraft. Ich gehe hinein und sehe das erste Mal in meinem Leben einen toten Menschen. Sie sieht nicht mehr aus wie meine Mama, wohl friedlich und äußerlich ist sie es auch, aber sie wirkt leer. Ich ertrage es kaum und plötzlich sehe ich mich selbst da liegen. Ich habe das Gefühl, sie ist gestorben, weil ich ihr folgen werde, bald. Den nächsten Tag überstehe ich nur wegen der vielen Organisationsaufgaben. Ich entschliesse mich, das Totenbildchen für die Trauergäste selbst zu zeichnen. Mama hatte meine Bilder immer gerne. Also bringe ich irgendwie die Kraft und die Konzentration auf, einen grünen Engel für sie zu malen, einen Engel in ihrer Lieblingsfarbe.


In Liebe ... für meine Mama

8. No More Bad Hair Days (Rückblick)

Noch vor der Brustoperation lasse ich mir meine schulterlangen Haare kurz schneiden. Ich möchte irgendwie vorbereitet sein auf das, was unausweichlich kommen wird, den Verlust meiner Haare. Manuela, meine Coiffeurin, bekommt völlig freie Hand, sie darf sich an mir austoben, schnitttechnisch und farblich, ich werde die Frisur nicht lange behalten. Aber sie hält sich zurück. Das Ergebnis im Spiegel ist befremdlich für mich, das bin einfach nicht ich.
Zwei Wochen nach der ersten Chemo fängt es an, die Haare fallen büschelweise aus und als einerseits die Dusche zu einem dauerhaften Stausee wird und andererseits von einer Frisur nicht mehr die Rede sein kann, lasse ich mir wie vorher abgesprochen von meinem Mann den Kopf kahl rasieren. Wir machen ein Abschiedsfest daraus. Ganz bewusst sind die Kinder dabei, auch meine Schwester und meine Eltern sind da. Mein Vater kann den Anblick nicht ertragen und zieht sich zurück, meine Schwester versucht mich mit Witzen darüber aufzumuntern und auch mein Mann scheint Spass daran zu haben. Wir haben vorher viel darüber gesprochen. Mama steht mir bei, aber ich spüre, dass es sie hart trifft, sie wäre gerne an meiner Stelle und würde die Last für mich tragen. Den beiden Großen, unserer 2-jährigen Tochter und unserem fast 4-jährigen Sohn, erkläre ich, dass ich Medikamente nehmen muss, die dafür sorgen, dass das große Aua an meiner Brust weggeht, die aber so stark sind, dass mir die Haare ausfallen. Die Haare würden erst wieder wachsen, wenn ich die Medikamente nicht mehr nehmen muss, aber das würde eine Weile dauern. Yannick nimmt es mit kindlicher Naivität und meint: „Du, Mami, dann musst du aufpassen, wenn der Wind weht, der bläst doch dann deine Perücke weg. Aber mach dir keine Sorgen, Mami, ich sause los und hole sie dir dann wieder.“
Perücken sind jedoch wetterfester, als man denkt, und sie haben einen unschätzbaren Vorteil, es gibt no more bad hair days.

(26. März 2011)

7. Chemo - Freund oder Feind? (Rückblick)

Die Tage nach dem Gespräch mit meinem Onkologen verbringe ich in einem tiefschwarzen Loch mit Sturzbächen an Tränen und bemitleide mich selbst. Ich verzweifle bei dem Gedanken, dass ich diese Welt vielleicht schon bald verlassen muss, gerade jetzt, wo alles so schön sein könnte, ich fühle mich wohl im Job, habe meine eigene Familie, die ich über alles liebe. Motivationssprüche von außen nach dem Motto „DU MUSST KÄMPFEN!“ ziehen mich nur noch mehr ins Loch. Das weiß ich nämlich schon, nur leider klemmt der Schalter gerade, der mir einen positiven Energieboost gibt. Wie lerne ich nur damit umzugehen, dass die reelle Möglichkeit besteht, dass mich diese blöde Krankheit dahinrafft. Ich male mir aus, wie meine letzten Tage aussehen würden, wie ich an irgendwelchen Maschinen hänge, um noch ein paar Tage hinzuzugewinnen, wie meine Kinder und mein Mann leiden würden.
STOPP ....! So will ich mein Leben nicht verbringen, mit der permanenten Panik und diesem Gefühl der Verzweiflung. Selbst wenn alles schlimmer als schlimm kommen sollte, dann will ich doch stark sein, für mich, aber auch für die Menschen, die ich liebe. Aber wie schaffe ich das, ich fühle mich so unendlich leer.
Ich bekomme Ratschläge von allen Seiten, solle doch zu einem Medium, zu einer Wahrsagerin oder zur Hypnose oder zu einem Psychologen oder die Misteltherapie machen. Oder, oder, oder ... und, und, und ...
In meiner Verzweiflung kontaktiere ich meine Akupunkteurin, die mich in der Vergangenheit schon aufgerichtet hat und vereinbare einen Termin. Dann surfe ich im Internet und finde eine Hypnotiseurin in meiner Gemeinde, die mir am Telefon gleich sympathisch ist. Die Suche nach einer Psychologin gestaltet sich schwieriger und wird auch länger dauern. Wie ich all die Termine mit den drei Kindern - vor allem mit dem Baby - hinbekommen soll, weiß ich noch nicht. Aber ich weiß, dass ich meine „alte“ Motivation zurückhaben muss, um wieder gesund zu werden. So verbringe ich die Tage bis zur ersten Chemo mit dem Lesen zahlreicher Motivationsbücher, Erfahrungsberichte, Broschüren und vielem mehr. Die Akupunktur und auch die Hypnose zeigen Wirkung, ich gewinne allmählich wieder Stärke zurück, aber die übermenschliche Kraft, die ich nach der Diagnose spürte, die bleibt diesmal aus.
Mit meiner Hypnotiseurin bespreche ich immer wieder die Bilder, die sie mir während der Sitzungen suggerieren soll. Ich stelle mir die Chemo-Infusionen wie farbiges Licht vor, das in meinen Körper strömt. Heilendes Licht, das meinen Körper und meine Seele erhellt und so die gesunden Zellen stärkt und alle kranken Zellen aufspürt und in gute Zellen verkehrt. Die Chemo soll mein Freund sein, der mich gesund macht, nicht mein Feind, der mir weh tut und mich vernichtet.
Mit diesem Bild vor Augen starte ich also in die erste Chemo. Mein Mann begleitet mich. Der Chemo-Raum des Brustzentrums ist klein, etwa fünf bis sechs Frauen finden Platz. Er ist zwar mit den weißen Wänden und mit dem Blick zur Mitte des Raumes nicht wirklich heimelig, aber die Fröhlichkeit der Plegefrauen gleicht das mehr als aus. Neben meinem Mann begleiten mich noch Rossi, das Stoffpferdchen meines Sohnes und mein Notizbuch, das mir Tagebuch und Erinnerungshilfe zugleich ist.
Die Infusion ist angehängt und „Campari“, wie es die Schwestern nennen, strömt über einen Port, der mir beim Brustbein eingesetzt wurde, in meine Venen. Ich sehe mir die anderen Frauen, meine Leidensgenossinnen, an, und stelle fest, dass sie alle ohne Ausnahme eher griesgrämig blicken. Steht mir das nun auch bevor, ein griesgrämiger, leerer Blick? Ich nehme mir nun erst recht vor, die Chemos als meinen Freund zu betrachten. Ich verspüre nicht das Bedürfnis zu reden, also fange ich an, in mein Notizbuch zu kritzeln. Nach und nach entsteht eine Zeichnung, Rossi, das gestreifte Stoffpferdchen, ist darauf in Siegerpose zu sehen, umgeben von einem Blumenmeer und in strahlendem Sonnenlicht. Daneben schreibe ich einen kleinen Tagebucheintrag: „Mein Kampfgeist ist zurück. Bin selber überrascht, wie positiv und locker ich’s nehme. Glaube daran, dass ich die schlimmsten Nebenwirkungen abwehren kann. Und wenn nicht, dann nehme ich sie an. Die Chemo HILFT mir, sie ist mein Freund. Und deshalb sage ich, dass ich das mithilfe der Chemo schaffe. Vielleicht überrasche ich mich und alle und habe überhaupt keine Nebenwirkungen, das wärs doch.“ (Tagebucheintrag vom 3.3.2011)
Nun ja, ich schlucke dann bereits auf dem Heimweg im Auto diverse Tabletten, um die einsetzenden Nebenwirkungen der Zytostatika einzudämmen und – dem Doc gehorchend – meinen Körper ja nicht auf Nebenwirkungen zu konditionieren, also runter mit Motilium und Paracetamol gegen die Übelkeit und die Kopfschmerzen. Gegen Schwindelanfälle und Hitzewallungen gibt es leider kein wirksames Gegenmittel und gegen Panikattacken und unbändige Müdigkeit auch nicht, aber ins Bett kriegt mich die Chemo tagsüber dann doch nicht. Denn dann wird „frau“ erst richtig krank. Leider übertrumpft mich die Müdigkeit meist abends auf dem Sofa schlagartig, sobald ich mich hinsetze. Innerhalb weniger Sekunden schlafe ich felsenfest ein. So soll es mir die nächsten fünf Monate ergehen. Verschärft wird die Müdigkeit noch durch Lina, die in den ersten Lebenswochen nachts ihre Flasche verlangt. Ich segle nur noch auf Halbmast.

6. Was heißt schon "negativ"? (Rückblick)

Unaufhörlich geht es weiter. Eine Woche nach der Geburt, zwei Wochen nach der Brust-OP, findet die Suche nach Metastasen statt. Mir ist mehr als mulmig. Was, wenn sie jetzt etwas Verdächtiges finden? Was, wenn all der Optimismus der letzten Tage zerstört wird?
Die PET/CT-Untersuchung ergibt, dass der Krebs wahrscheinlich noch nicht gestreut hat. Puuh, ich weine vor Erleichterung. Das wäre mein Todesurteil gewesen. Triple negativ und mit Metastasen bedeutet knallhart noch eine durchschnittliche Überlebenszeit von max. zwei Jahren. Leider bedeutet triple negativ darüber hinaus, dass auch nach Chemo und Bestrahlung die Wahrscheinlichkeit eines Rückfalls oder der Metastasenbildung massiv erhöht ist im Vergleich zu anderen Brustkrebstypen.
Das alles erfahre ich ein paar Tage nach der PET/CT-Untersuchung von meinem Onkologen,
einem sehr großen Mann von kräftiger Statur und mit einem speziellen Charme, der als nüchterner Wissenschaftler auftritt und die schmerzhafte Wahrheit sachlich verpackt zum Ausdruck bringt. Wie gesagt, der Tumor sei triple negativ, man wisse von der Aggressivität dieses Typs und von der eingeschränkten Therapiemöglichkeit. Triple negativ... was bedeutet das eigentlich? Was ist so negativ? Ich dachte ja immer, dass Brustkrebs heutzutage kein Drama mehr sei. Man hört immer nur von Frauen, die es geschafft haben. Auch Zahlen bekomme ich regelmässig in Gesprächen mit Bekannten zu hören, da ist die Rede von 95% Heilungserfolgen und so. Darauf und auf den positiven Aussagen der Senologin (Gynäkologin am Brustzentrum, die mich operiert hat) gründet bisher mein unsäglicher Optimismus... unwissend und naiv.
Nun ja, da ist sie also nun plötzlich, die Erkenntnis, dass ich nicht einfach Brustkrebs habe, sondern wohl den gefürchtetsten aller Brustkrebs-Arten, über den die Wissenschaft noch am wenigsten weiß. Damit sei die Frage beantwortet, was denn so negativ ist. Negativ ist der Typ aber nicht nur im übertragenen Sinn, sondern vor allem in dreifacher Hinsicht bezogen auf seine Charakterisierung: Er ist hormonunabhängig, hat also Negativität für Östrogen- und Progesteronrezeptoren und er ist HER2-negativ. Somit bleiben mir Hormontherapien und eine Behandlung mit Herceptin verwehrt.
Wie in Trance bekomme ich mit, wie mir mein Onkologe die bevorstehende Chemotherapie erklärt. Es müsse eine härtere Variante sein wegen der Aggressivität des Tumors und eine Kombination aus verschiedenen Chemos, da man nicht sicher wisse, welche Chemo bei mir zum Erfolg führe. Also soll ich vier Mal alle drei Wochen per Infusion einen Chemo-Cocktail, dann weitere vier Mal eine andere Chemo und während der ganzen Zeit jeweils noch Chemotabletten in hoher Dosis für jeweils zwei Wochen nach jeder Infusion bekommen. Immerhin, eine Woche zwischendrin darf oder besser soll sich mein Körper erholen.
Und wann erholt sich meine Seele? Die befindet sich gerade in einem schwarzen Loch.