Ein Optimist ist in der Regel ein Zeitgenosse, der ungenügend informiert ist.
(John Boynton Priestley)
Genau zwei Wochen nach der Diagnose findet die operative Entfernung des Tumors statt. Die Tage vorher bringe ich dadurch herum, mich nebst den vielen Terminen in möglichst viele Aufgaben zu Hause zu stürzen, meist bis tief in die Nacht, denn an Schlaf ist noch immer nicht zu denken, aufräumen, alles für meinen Mann und die Kinder organisieren, vorkochen, Wäsche waschen und bügeln, packen, mit den Kindern spielen, zwischendurch Bücher zum Thema Brustkrebs und unzählige Broschüren dazu wälzen. Die Nächte verbringe ich grübelnd in den Armen meines Mannes, wir sind uns näher denn je in der Zeit nach dieser Schreckensnachricht.
Ich stehe wie unter Strom und spüre eine Energie in mir, wie noch nie in meinem bisherigen Leben. Bis zur OP möchte ich möglichst viel erledigt haben und gut vorbereitet sein. Wer weiß, was nach der OP kommt. Sicher ist, ich werde wohl erstmal eine ganze Weile nichts Anstrengendes machen dürfen, nichts Schweres heben. Außerdem ist jetzt schon klar, dass das Baby ein paar Tage nach der OP auf die Welt kommen soll, sobald ich mich einigermaßen erholt habe, damit ich mit der Chemo starten kann. Die operierende Ärztin, die auch schon die Biopsie durchgeführt hat, versprüht einen Optimismus, der auf mich abfärbt. So gehe ich mittlerweile voller Tatendrang und mit einem positiven Blick auf die Zukunft durch den Alltag. Noch. Meine größte Sorge gilt dem Baby, das die Narkose auch abbekommen wird. Und ich habe generell Angst, operiert zu werden. Das ist mein erstes Mal. Aber abgesehen davon bin ich zu diesem Zeitpunkt überzeugt, dass ich den Brustkrebs besiegen werde.
Mein Bruder und meine Schwägerin reisen an, um während meiner Abwesenheit für die Kinder zu sorgen. Eine große Sorge weniger. So kann mein Mann weiter arbeiten und dennoch häufig bei mir sein. Er steht massiv unter Druck in seinem Job und muss nun mehr denn je unsere Existenz sichern, Ferien wird er noch mehr als genug nehmen in nächster Zeit, um mich und die Kinder aufzufangen. Mein Mann fährt mich dann am Morgen des 1. Februar 2011 ins Universitätsspital Zürich. Das Bett im Zweierzimmer steht direkt am Fenster mit Blick auf Zürisee und die Glarner Alpen. Wären da nicht der typische Krankenhausgeruch und das Gewusel des Pflegepersonals, könnte man fast der Illusion verfallen, man sei in den Ferien... bei dieser Aussicht auf die im Sonnenlicht reflektierenden Berggipfel und die Segelboote auf dem See. Mir ist mulmig, als sich mein Mann von mir verabschiedet, wir halten uns lange in den Armen, ich wünschte, er könnte bei mir bleiben und mich in den OP-Saal begleiten.
Der Tag ist gefüllt mit Untersuchungen und Besprechungen. Ich komme gar nicht zum Nachdenken, das ist auch gut so. In der Nacht bin ich unruhig , neben den vielen Gedanken fällt es mir trotz Oropax schwer, Schlaf zu finden. Meine Zimmernachbarin ist über 80, sehr nett und eine Seele von Mensch, aber leider hat sie einen sehr lauten und unruhigen Schlaf. Meine kleine Maus im Bauch macht sich auch unaufhörlich mit Strampeln bemerkbar, so als wollte sie mir zeigen, dass wir das gemeinsam schaffen werden.
Am Morgen bekomme ich eine Beruhigungstablette, die mich bereits so müde macht, dass ich kaum mitbekomme, wie man mich in den OPS bringt. Ich werde in Seitenlage operiert, damit das Baby nicht auf die Vena Cava drückt und für uns beide die Blutversorgung sichergestellt ist.
Ich höre Stimmen und spüre einfach nur Schmerzen. Panik steigt in mir hoch. Ich merke, dass die OP vorbei ist und ich wieder auf einem Bett liege. Aber warum tut das so unendlich weh? Ich kann einfach nur weinen und weiß irgendwie nicht so recht, wo ich bin, was los ist. Wieder eine Panikattacke. Die Pflegenden im Aufwachraum kommen sofort und geben mir mehrere starke Schmerzmittel, bis ich endlich ruhiger werde. Ich habe Angst ums Baby, aber man beschwichtigt. Sie rufen meinen Mann an, er soll kommen, während ich wieder wegdämmere. Er kommt schnellstmöglich und bleibt den Rest des Tages an meiner Seite. Noch habe ich keine Ahnung, was genau operiert wurde und wie ich nun aussehe. Aber im Grunde ist es mir egal, ich will einfach wieder gesund werden. Ich hatte die Ärztin vorher angewiesen, nicht zu vorsichtig zu sein und lieber mehr zu entfernen als zu wenig.
Zurück im Zimmer erhole ich mich erstaunlich schnell und würde am liebsten aufstehen, aber die Pflegenden lassen mich nicht. Dann kommt die Ärztin und informiert mich über den Verlauf der OP und das vorläufige Ergebnis des Schnellschnitts, der noch während der OP im Labor untersucht wurde:
Triple-negativer Tumor (Negativität für Progesteron- und Östrogenrezeptoren, Her2-negativ), 2,1 cm groß, 13 Lymphknoten axiliär enfernt, davon zwei mit Tumorzellen, TNM-Klassifikation pT2, pN1a, G3
Zunächst kann ich mit all dem wenig anfangen, bin etwas geschockt, dass auch Lymphknoten entfernt wurden, aber noch bin ich ruhig, denn die Ärztin strahlt immer noch unbändigen Optimismus aus, und das stimmt auch mich optimistisch, zumal ich die OP-Wunde zu Gesicht bekomme und positiv überrascht bin. Abgesehen von einer etwa zehn Zentimeter langen Narbe sieht meine Brust fast wie vorher aus, nur etwas kleiner. Mein Mann hatte gleich nach der Diagnose zu mir gesagt: „Mach dir bloß keinen Kopf wegen körperlicher Veränderungen. Ich liebe dich und nicht deine Brüste oder deine Haare.“ Trotzdem bin ich irgendwie erleichtert, dass die Veränderung minimal ist.
Ich bin auch mehr als froh, dass das Baby wohlauf ist und keine Komplikationen auftraten, die einen Notkaiserschnitt zur Folge gehabt hätten, der mir durch die Vollnarkose jegliches Geburtserlebnis genommen hätte. Einer natürlichen, wenn auch eingeleiteten Geburt in einigen Tagen scheint nichts im Wege zu stehen. Ich werde täglich ans CT gehängt und etwaige Wehen und die Herztöne des Babys überwacht.
Die Schmerzen halten sich nach der OP dank Schmerzmitteln in Grenzen, nach zwei Tagen verzichte ich weitestgehend auf weitere Mittel, um das Baby nicht noch mehr „zuzudröhnen“, auch wenn man mir permanent versichert, dass es dem Baby nicht schaden würde. Wer weiß das schon so genau, das Baby kann es uns ja nicht sagen und bei späteren Schädigungen heißt es dann, sie hätten andere Gründe.
In der zweiten Nacht nach der OP bekomme ich Wehen, die immer stärker werden und mich an die Geburt meines zweiten Kindes erinnern. Da ging es nämlich plötzlich sehr schnell nach „solchen“ Wehen. Ich warte erstmal ab, schreibe meinem Mann eine SMS, damit er im Zweifel vorbereitet ist. Er schläft aber scheinbar tief und fest. Irgendwann habe ich alle 2 Minuten Wehen und werde doch nervös. Die Pflegenden sind unsicher, ich liege zwar in der Gynäkologie, aber hier sind Schwangere eher die Ausnahme. Die sind in der Geburtenabteilung zu finden. Eine Hebamme kommt und macht ein CT. Schnell gibt es Entwarnung... nur Fehlalarm. Die nächsten Tage bleibt es ruhig im Bauch.
Sechs Tage nach dem Eingriff darf ich das Unispital dann endlich verlassen.
(Blick aus dem Spitalfenster am 5.2.2011)
1 Kommentar:
BIANCA!
Welche Freude!!!!
Felix aka FUFI
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